Die Rückkehr des Sherlock Holmes
beunruhigt, sondern von Neugier erfüllt, und ich nahm mir vor herauszufinden, wer er war und was er wollte. Ich verlangsamte daher meine Fahrt, aber er tat dasselbe. Dann hielt ich an, und er auch. Darauf stellte ich ihm eine Falle. Ich umfuhr sehr schnell eine besonders scharfe Straßenkurve, dann hielt ich an und wartete. Ich ging davon aus, er käme um die Ecke geschossen und führe an mir vorbei, ehe er anhalten könnte. Aber er kam nicht. Darauf fuhr ich zurück und sah um die Ecke. Ich konnte die Straße eine Meile weit überblicken, aber er war fort. Und um das Ganze noch seltsamer zu machen, gab es dort auch keine Nebenstraße, über die er hätte verschwinden können.«
Holmes kicherte und rieb sich die Hände.
»Dieser Fall weist in der Tat einige besondere Züge auf«, sagte er. »Wieviel Zeit verging bis zu Ihrer Entdeckung, daß die Straße hinter Ihnen frei war, nachdem Sie um die Kurve gefahren waren?«
»Zwei oder drei Minuten.«
»Dann kann er sich nicht über die Straße zurückgezogen haben; und Sie sagen, es gibt dort keine Nebenstraßen?«
»Keine.«
»Dann hat er bestimmt einen Fußpfad auf der einen oder anderen Seite genommen.«
»Nicht auf der Seite, wo die Heide ist, sonst hätte ich ihn sehen müssen.«
»Durch fortgesetztes Ausschließen kommen wir also darauf, daß er sich nach Charlington Hall gewendet hat, das, wenn ich richtig vermute, in seinen eigenen Ländereien auf einer Seite der Straße liegt. Sonst noch etwas?«
»Nein, Mr. Holmes, abgesehen davon, daß ich so verwirrt war, daß ich das Gefühl hatte, ich könnte erst wieder glücklich sein, wenn ich Sie besucht und Ihren Rat gehört hätte.«
Holmes saß eine Weile schweigend da.
»Wo wohnt der Gentleman, mit dem Sie verlobt sind?« fragte er schließlich.
»Er arbeitet bei der Midland Electric Company in Coventry.«
»Er würde Ihnen keinen überraschenden Besuch abstatten?«
»Oh, Mr. Holmes! Als ob ich ihn nicht kennen sollte!«
»Hatten sie noch andere Verehrer?«
»Einige, bevor ich Cyril kennenlernte.«
»Und seitdem?«
»Nun, dieser Widerling Woodley, falls man den einen Verehrer nennen kann.«
»Sonst niemand?«
Unsere schöne Klientin schien ein wenig aus der Fassung.
»Wer also?« fragte Holmes.
»Oh, vielleicht bilde ich mir das nur ein; aber mir kam es manchmal so vor, daß mein Arbeitgeber, Mr. Carruthers, sich beträchtlich für mich interessiert. Wir sind ziemlich eng zusammen. An den Abenden spiele ich seine Begleitung. Er hat nie etwas gesagt. Er ist ein perfekter Gentleman. Aber ein Mädchen weiß immer Bescheid.«
»Ha!« Holmes blickte bedenklich drein. »Wovon bestreitet er seinen Lebensunterhalt?«
»Er ist ein reicher Mann.«
»Und dann besitzt er weder Kutschen noch Pferde?«
»Nun, zumindest ist er ziemlich wohlhabend. Aber er fahrt zwei-oder dreimal die Woche nach London. Er interessiert sich sehr für südafrikanische Goldbergwerksaktien.«
»Lassen Sie mich bitte jede neue Entwicklung wissen, Miss Smith. Eben jetzt bin ich sehr beschäftigt, aber ich werde Zeit finden, in Ihrem Fall ein paar Ermittlungen anzustellen. Inzwischen unternehmen Sie nichts, ohne mir vorher Bescheid zu sagen. Auf Wiedersehen. Und ich will hoffen, daß wir von Ihnen nur gute Neuigkeiten zu erfahren haben.«
»Es gehört zu der eingespielten Ordnung der Natur, daß ein solches Mädchen Verehrer anzieht«, sagte Holmes und zog an seiner Grübelpfeife, »aber doch nicht unbedingt auf einem Fahrrad auf einsamen Landstraßen. Ohne jeden Zweifel irgendein heimlicher Liebhaber. Aber der Fall weist merkwürdige und anregende Einzelheiten auf, Watson.«
»Daß er nur an dieser einen Stelle auftaucht?«
»Genau. Als erstes müssen wir herausfinden, wer die Pächter von Charlington Hall sind. Sodann, wie es mit der Verbindung zwischen Carruthers und Woodley steht, scheinen Sie doch Männer von durchaus verschiedenem Typus zu sein. Wieso waren sie
beide
so erpicht darauf, Ralph Smiths Verwandtschaft aufzusuchen? Und noch ein Punkt: Was ist das für eine Haushaltung, die zwar für eine Gouvernante den doppelten Marktpreis zahlt, sich aber kein Pferd hält, obwohl es bis zum nächsten Bahnhof sechs Meilen sind? Seltsam, Watson – überaus seltsam.«
»Sie wollen hinfahren?«
»Nein, mein lieber Knabe,
Sie
werden hinfahren. Es könnte sich hierbei um eine belanglose Intrige handeln, und ich kann deswegen meine andere, wichtige Untersuchung nicht unterbrechen. Am Montag fahren Sie früh nach Farnham; Sie
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