Die Rückkehr des Sherlock Holmes
sehr vorsichtig wieder zu öffnen. Er saß wieder auf seinem Platz, und die Zigarre ragte ihm noch immer in frechem Winkel aus dem Mund. Vor ihm, im vollen Glanz des elektrischen Lichts, stand eine große, schlanke, dunkelhaarige Frau; sie hatte einen Schleier vor dem Gesicht und ihren Umhang ums Kinn zusammengezogen. Sie atmete schnell und hastig, und jeder Zoll ihrer geschmeidigen Figur bebte vor heftiger Erregung.
»Nun«, sagte Milverton, »Sie haben mir meine wohlverdiente Nachtruhe geraubt, meine Liebe. Ich hoffe, Sie werden mich dafür entschädigen. Und Sie konnten zu keiner anderen Zeit kommen – he?«
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Na, wenn Sie nicht konnten, dann konnten Sie nicht. Sollte die Gräfin eine gestrenge Herrin sein, so haben Sie jetzt die Chance, es ihr heimzuzahlen. Du liebe Güte, warum zittern Sie denn so? So ist’s recht! Reißen Sie sich zusammen! Kommen wir zum Geschäftlichen.« Er entnahm seiner Schreibtischschublade einen Brief. »Sie schreiben, Sie besitzen fünf Briefe, die die Gräfin d’Albert kompromittieren. Die wollen Sie verkaufen. Ich will sie kaufen. So weit, so gut. Bleibt nur noch der Preis festzusetzen. Ich möchte die Briefe natürlich erst einmal prüfen. Wenn es wirklich gute Exemplare sind – großer Gott, Sie sind es?«
Die Frau hatte wortlos Ihren Schleier gehoben und den Umhang von ihrem Kinn fallen lassen. Milverton sah sich einem dunklen, hübschen, klargeschnittenen Gesicht gegenüber, einem Gesicht mit gebogener Nase, kräftigen dunklen Augenbrauen, die strenge, funkelnde Augen beschatteten, und einem klaren, dünnlippigen Mund, der ein gefährliches Lächeln zeigte.
»Ich bin es«, sagte sie – »die Frau, deren Leben Sie zerstört haben.«
Milverton lachte, aber seine Stimme zitterte. »Sie waren ja so eigensinnig«, sagte er. »Warum haben Sie mich zum Äußersten getrieben? Ich versichere Ihnen, daß ich freiwillig keiner Fliege etwas zuleide tun würde, aber jeder Mensch betreibt nun einmal sein Geschäft: Was sollte ich denn machen? Sie hätten meinen Preis durchaus bezahlen können; aber Sie wollten nicht.«
»Und da haben Sie die Briefe meinem Mann geschickt, und er – der edelste Gentleman, der je gelebt hat, ein Mann, dessen Schuhe zu schnüren ich niemals wert war – ihm brach darüber das ritterliche Herz, und er starb. Sie erinnern sich an jene letzte Nacht, als ich durch diese Tür kam und Gnade von Ihnen erbat und erflehte, und Sie mir ins Gesicht lachten, so wie Sie auch jetzt zu lachen versuchen, nur daß Ihr feiges Herz Ihre Lippen nicht daran hindern kann zu zittern? Ja; Sie glaubten, mich hier nie wieder zu sehen, aber jene Nacht hat mich gelehrt, wie ich Ihnen allein, von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten kann. Nun, Charles Milverton, was haben Sie zu sagen?«
»Bilden Sie sich nicht ein, daß Sie mich einschüchtern können«, sagte er und erhob sich. »Ich brauche nur meine Stimme zu erheben, und schon kann ich meine Bediensteten rufen und Sie festnehmen lassen. Aber ich will mit Ihrem natürlichen Zorn Nachsicht haben. Verlassen Sie das Zimmer sofort auf dem Weg, den Sie gekommen sind, und ich werde weiter nichts sagen.«
Die Frau stand da, eine Hand in ihrem Busen, und wieder spielte dieses tödliche Lächeln um ihre Lippen.
»Sie werden niemandes Leben mehr zerstören wie das meine. Sie werden niemandes Herzen mehr quälen wie das meine. Ich werde die Welt von einer Pestbeule befreien. Nimm das, du Schurke, und das! – und das! – und das! – und das!«
Sie hatte einen kleinen glänzenden Revolver gezogen und schoß nun, die Mündung nur zwei Fuß vor seiner Hemdbrust, Kugel um Kugel in Milvertons Körper. Er sank hin und fiel dann vornüber auf den Tisch, hustete entsetzlich und krallte sich in seinen Papieren fest. Dann kam er wankend hoch, empfing einen weiteren Schuß und wälzte sich auf dem Boden. »Sie haben mich hingemacht«, schrie er und blieb stumm liegen. Die Frau sah ihn unverwandt an und zermalmte sein nach oben gedrehtes Gesicht mit ihrem Absatz. Sie sah noch einmal hin, aber er gab keinen Ton und keine Bewegung mehr von sich. Ich hörte ein scharfes Rascheln, die Nachtluft wehte in den erhitzten Raum, und die Rächerin war verschwunden.
Kein Einschreiten unsererseits hätte den Mann vor seinem Schicksal bewahren können; doch als die Frau eine Kugel um die andere in Milvertons Körper jagte, wollte ich schon hervorstürzen, als ich Holmes’ kalten, festen Griff um mein Handgelenk spürte.
Weitere Kostenlose Bücher