Die Rückkehr des Tanzlehrers
gehen.«
Sie saßen schweigend da. Der Hund bellte. Dann verstummte auch er.
»Was tust du, wenn du eine Todesnachricht überbringen mußt?« fragte Giuseppe.
»Ich habe noch nie eine überbringen müssen. Ich bin dabeigewesen, aber es waren immer andere, die den eigentlichen Auftrag hatten.«
»Ein einziges Mal habe ich ernsthaft erwogen, meinen Beruf aufzugeben«, sagte Giuseppe. »Vor sieben Jahren. Zwei Schwestern, vier und fünf Jahre alt, hatten an einem Teich gespielt. Der Vater hatte sie ein paar Minuten allein gelassen. Wie es eigentlich passiert ist, haben wir nie richtig aufklären können. Aber sie sind beide ertrunken. Ich mußte, zusammen mit einem Pastor, zu der Mutter nach Hause fahren und ihr erzählen, was passiert war. Der Vater hatte einen Zusammenbruch erlitten. Er war mit den Kindern zum Spielen gegangen, damit die Mutter in Ruhe eine Geburtstagsfeier für die Fünfjährige vorbereiten konnte. Da hat nicht viel gefehlt, und ich hätte aufgegeben. Es ist sonst nie passiert. Weder vorher noch nachher.«
Das Schweigen wanderte zwischen ihnen hin und her. Stefan schaute auf den Teppich, auf dem Hanna Tunberg gestorben war. Das Strickzeug lag mit gespreizten Stricknadeln auf einem Tisch neben dem Stuhl. Giuseppes Handy klingelte. Beide fuhren zusammen. Giuseppe meldete sich. Der Regen schlug plötzlich gegen die Fenster. Giuseppes beendete das Gespräch, ohne viel gesagt zu haben.
»Es war der Krankenwagen. Sie haben Hannas Mann getroffen. Er ist mit ihnen gefahren. Wir brauchen hier nicht mehr zu warten.«
Keiner von ihnen bewegte sich.
»Wir werden es nie wissen«, sagte Giuseppe. »Eine Zeugin tritt auf und ist bereit, über die Grenze zu gehen und eine Aussage zu machen. Jetzt bleibt nur die Frage: Hat sie die Wahrheit gesagt?«
»Warum sollte sie es nicht getan haben?«
Giuseppe stand am Fenster und sah in den Regen hinaus. »Ich weiß nichts über Boras, außer daß es eine Stadt ist. Sveg hingegen ist eine sehr kleine Ortschaft mit ein paar tausend Einwohnern. In ganz Härjedalen leben weniger Menschen als in einem Vorort von Stockholm. Das bedeutet, daß es schwerer ist, Geheimnisse zu haben.«
Giuseppe kam vom Fenster zurück und setzte sich auf den Stuhl, auf dem Hanna Tunberg ihre letzte Zigarette geraucht hatte. Er stand schnell wieder auf und blieb stehen. »Ich hätte es sagen sollen, bevor wir hierhergekommen sind. Ich glaube, es war einfach so, daß ich vergessen hatte, daß du nicht von hier bist. Es ist wie mit Engeln und ihrem Glorienschein. Alle haben kleine Ringe von Gerüchten um sich. Hanna Tunberg war da keine Ausnahme.«
»Ich verstehe nicht richtig, was du meinst.«
Giuseppe starrte düster auf den Teppich. »Man soll nicht schlecht von den Toten reden. Was ist falsch daran, neugierig zu sein? Das sind die meisten. Polizeiarbeit baut auf Tatsachen und Neugier auf.«
»Sie ist also eine Klatschtante gewesen.«
»Das hat Erik mir erzählt. Und er weiß immer, wovon er redet. Das hatte ich die ganze Zeit über im Kopf, als sie erzählte. Hätte sie fünf Minuten länger gelebt, hätte ich sie fragen können. Jetzt geht es nicht mehr.«
Giuseppe kehrte ans Fenster zurück. »Wir könnten ein Experiment machen«, fuhr er fort. »Wir stellen einen Wagen an die Stelle, an der sie angeblich geparkt hat. Dann bitten wir jemanden, in den Rückspiegel zu sehen, und einen zweiten, aus Abraham Anderssons Haus herauszukommen, bis drei zu zählen und wieder hineinzugehen. Eins kann ich dir schon jetzt versprechen: Entweder sieht man ganz deutlich, wer dort vor der Tür steht, oder man sieht gar nichts.«
»Sie hat also gelogen?«
»Ja und nein. Sie hat nicht direkt gelogen. Ich vermute, daß sie entweder eine Frau hinter Abraham Anderssons Rücken gesehen hat, als er die Tür öffnete, oder daß sie heimlich durch ein Fenster geguckt hat. Aber was von beidem zutrifft, werden wir nie erfahren.«
»Der Inhalt war demnach richtig?«
»Ich denke schon. Sie wollte etwas sagen, was ihrer Meinung nach wichtig sein konnte, obwohl sie nicht erzählen wollte, wie sie es erfahren hat.«
Giuseppe seufzte. »Ich glaube, ich bekomme eine Erkältung. Mir tut der Hals weh. In ein paar Stunden habe ich Kopfschmerzen. Fahren wir?«
»Nur eine Frage«, sagte Stefan, »genauer gesagt, zwei. Was bedeutet es, wenn Hanna Tunberg wirklich Elsa Berggren gesehen hat? Und wenn sie es nicht war, wer war es dann? Und was bedeutet das für uns?«
»Das sind schon drei Fragen«, erwiderte
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