Die Rückkehr des Tanzlehrers
schloß die Augen und ließ den Zeigefinger in der begrenzten Spalte mit Hauptgerichten wählen. Es wurde wieder Elchhacksteak. Als er anfing zu essen, hörte er, wie hinter ihm jemand den Speisesaal betrat. Er wandte den Kopf um und sah eine Frau auf seinen Tisch zukommen. Sie blieb stehen und sah ihn an. Stefan registrierte als erstes, daß sie sehr schön war.
»Ich möchte nicht stören«, sagte sie, »aber ich habe von einem Polizeibeamten in Östersund erfahren, daß einer der alten Arbeitskollegen meines Vaters hier ist.«
Zunächst begriff Stefan nicht. Dann wurde ihm bewußt, was sie gesagt hatte.
Die Frau, die vor ihm stand, war Herbert Molins Tochter.
Hinterher sollte Stefan denken, daß Veronica Molin eine der schönsten Frauen war, die er je getroffen hatte. Bevor sie sich setzen konnte, bevor er auch nur seinen Namen hatte sagen können, hatte er sie mit den Augen ausgezogen und sie sich nackt vorgestellt. Gleichzeitig war er in Gedanken zu dem Ermittlungsmaterial in Giuseppes Büro zurückgekehrt. Er hatte sich bis zu der Seite vorgeblättert, auf der stand, daß Herbert Molin 1955 eine Tochter bekommen hatte, die auf den Namen Veronica getauft worden war. Die Frau, die vor ihm stand und schwach nach einem diskreten Parfüm duftete, war also vierundvierzig Jahre alt, sieben Jahre älter als er selbst. Wenn er es nicht gewußt hätte, würde er sie auf sein Alter geschätzt haben.
Dann stellte er sich vor, reichte ihr die Hand und sprach ihr sein Beileid aus.
»Danke.«
Ihre Stimme war auf eigenartige Weise klanglos. Sie paßte nicht zu ihrem Aussehen.
Sie gleicht jemandem, dachte er. Einem dieser Menschen, die immer in den Zeitungen und im Fernsehen vorkommen. Aber er kam nicht darauf, wer es war.
Er bat sie, sich zu setzen. Das Mädchen aus der Rezeption trat an den Tisch. »Jetzt brauchen Sie vielleicht nicht allein zu essen«, sagte sie zu Stefan.
Er war drauf und dran, sie zu bitten, sich zur Hölle zu scheren, aber es gelang ihm, sich zu beherrschen.
»Wenn Sie lieber allein sein möchten, lasse ich Sie in Ruhe«, sagte Veronica Molin.
Er bemerkte, daß sie einen Ehering trug. Einen kurzen Augenblick lang war er niedergeschlagen. Das Gefühl war absurd und heftig und ging schnell vorbei. »Überhaupt nicht«, antwortete er.
Sie hob die Augenbrauen. »Überhaupt nicht, was?«
»Ich möchte nicht allein hier sitzen.«
Sie nahm Platz, griff zur Speisekarte und legte sie fast sofort wieder hin. »Kann ich einen Salat bekommen?« fragte sie. »Und ein Omelett?«
»Selbstverständlich«, sagte das Mädchen aus der Rezeption.
Stefan schoß plötzlich der Gedanke durch den Kopf, daß sie vielleicht auch das Essen kochte.
Veronica Molin bestellte Mineralwasser. Stefan kramte noch immer in seinem Gedächtnis, an wen sie ihn erinnerte.
»Es war ein Mißverständnis«, erzählte sie. »Ich nahm an, daß ich die Polizisten hier in Sveg treffen sollte. Aber sie meinten Östersund. Ich fahre morgen hin.«
»Woher kommen Sie?«
»Aus Köln. Ich habe die Todesnachricht dort erhalten.«
»Sie wohnen also in Deutschland?«
Sie schüttelte den Kopf. »In Barcelona. Oder Boston. Es kommt darauf an. Aber jetzt bin ich in Köln gewesen. Es war sonderbar und erschreckend. Ich hatte gerade das Hotel betreten. Dom Hotel hieß es, glaube ich. Es lag unmittelbar neben dem großen Dom. Die Glocken begannen zu läuten, als das Telefon klingelte und ein Mann weit weg mir mitteilte, mein Vater sei ermordet worden. Dann fragte er, ob ich mit einem Pastor sprechen wollte. Heute morgen bin ich nach Stockholm geflogen und anschließend hierher. Aber es hätte wohl Öster-sund sein sollen.«
Sie verstummte, als ihr Mineralwasser gebracht wurde. In der Bar lachte jemand. Laut und grell. Es hörte sich an, als ob ein Mensch versuchte, einen Hund nachzumachen, dachte Stefan.
Dann kam er darauf, wem sie ähnelte. Einer Schauspielerin aus einer der Soaps im Fernsehen, die nie ein Ende zu nehmen schienen. In seiner Erinnerung suchte er nach ihrem Namen, konnte ihn aber nicht finden.
Veronica Molin war ernst und angespannt. Stefan fragte sich schnell, wie er selbst reagieren würde, wenn er sich irgendwo in einem Hotel aufhielte und ihm telefonisch mitgeteilt würde, daß sein Vater ermordet worden sei.
»Ich kann nur bedauern, was geschehen ist«, sagte er. »Ein vollkommen sinnloser Mord.«
»Sind nicht alle Morde sinnlos?«
»Natürlich. Aber nicht alle bleiben ohne Motiv, so daß man sie trotz allem
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