Die Rückkehr des Tanzlehrers
ist er nicht zu Hause?«
»Er verbringt den Herbst immer in seinem Sommerhaus. Er macht dort Ferien.«
Der Mann in der Tür betrachtete Stefan mit erhabener Verachtung. Als sei es das Natürlichste auf der Welt, daß man im November Ferien machte. Und daß man als Pensionär immer noch einer Arbeit nachging, die es einem erlaubte, Urlaub zu machen.
»Wo liegt sein Sommerhaus?«
»Wer sind Sie denn, wenn ich fragen darf? Wir wissen gern, wer hier im Haus ein und aus geht. Wollen Sie ein Porträt bestellen?«
»Ich möchte ihn in einer wichtigen Angelegenheit sprechen.«
Der Mann betrachtete Stefan mißtrauisch. »Emil hat sein Sommerhaus im Süden von Öland. Wenn man an Alvaret vorbeigefahren ist, erscheint ein Schild, auf dem Lavendel steht, und ein anderes, das darauf hinweist, daß es sich um Privatgelände handelt. Dort wohnt er.«
»Heißt es so? Lavendel?«
»Emil spricht von einer blauen Farbschattierung, die zu Lavendel hin tendiert. Es ist ihm zufolge das schönste Blau, das existiert. Unmöglich für einen Maler, den Ton zu treffen. Darin ist die Natur der einzige Meister.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe.«
»Bitte sehr. Keine Ursache.«
Stefan hielt im Weggehen inne. »Eins noch. Wie alt ist Emil Wetterstedt?«
»Achtundachtzig. Aber er ist sehr vital.«
Der Mann schloß die Tür. Stefan ging langsam die Treppe hinunter. Also habe ich einen Grund, über die Brücke zu fahren, dachte er. In den Nebel hinein. Auch ich befinde mich auf einer Art unfreiwilliger Urlaubsreise, ohne anderes Ziel, als die Zeit bis zum neunzehnten November hinter mich zu bringen.
Er ging den gleichen Weg zurück, auf dem er gekommen war. Das Geschäft, in dem es Mobiltelefone gab, wurde gerade geöffnet. Ein junger Mann gähnte uninteressiert und suchte eine passende Batterie heraus. Schon während Stefan bezahlte, klingelte das Handy, um ihm zu signalisieren, daß er Nachrichten auf seiner Mailbox hatte. Bevor er Kalmar verließ, hörte er sie ab. Dreimal hatte Elena angerufen. Sie klang jedesmal resignierter und wurde immer wortkarger. Dann war eine Nachricht von seinem Zahnarzt da, der ihn daran erinnerte, daß es Zeit für die jährliche Kontrolle wurde. Das war alles. Giuseppe hatte nicht angerufen. Er hatte auch nicht damit gerechnet, aber vielleicht doch darauf gehofft. Von seinen Arbeitskollegen hatte sich ebenfalls keiner gemeldet. Aber auch damit hatte er nicht gerechnet. Er war praktisch ein Mensch ohne Freunde.
Er legte das Handy auf den Beifahrersitz, verließ den Parkplatz und begann, die Auffahrt zur Brücke zu suchen. Als er hinüberfuhr, lag der Nebel immer noch dicht über dem Wasser. Vielleicht ist es so, wenn man stirbt, dachte er. Früher hatte man die Vorstellung, daß ein Fährmann kommt und einen über den Fluß des Todes rudert. Heute muß man vielleicht eine Brücke überqueren. Direkt hinein in den Nebel, und danach nichts mehr.
Er erreichte Öland, bog nach rechts ab, passierte die Einfahrt eines Tierparks und fuhr weiter Richtung Süden. Er fuhr langsam. Es kamen ihm nur wenige Wagen entgegen. Um ihn her keine Landschaft, nur dieser Nebel. Irgendwo hielt er auf einem Parkplatz und stieg aus dem Wagen. In einiger Entfernung hörte er ein Nebelhorn und vielleicht auch das Schlagen von Wellen. Sonst war es still. Es war, als habe sich der Nebel in seinen Kopf geschlichen und sich wie eine Decke über sein
Bewußtsein gelegt. Er hielt eine Hand vor sich hoch. Sie war sehr weiß.
Er fuhr weiter und wäre beinah an dem Schild mit der Aufschrift Lavendel 2 vorbeigefahren. Es erinnerte ihn an ein anderes Schild, nach dem er neulich gesucht hatte, Dunkärret 2. Schweden ist ein Land, in dem die Menschen zwei Kilometer von der Hauptstraße entfernt leben, dachte er.
Die Schotterpiste, auf die er einbog, war voller Schlaglöcher und schien nur wenig benutzt zu werden. Sie war schnurgerade und verschwand im Nebel. Der Weg endete an einem geschlossenen Tor. Es standen ein alter Volvo 44 und ein Motorrad dort. Stefan stellte den Motor ab und stieg aus. Das Motorrad war eine Harley Davidson. Seit Stefan damals mit dem Moto-crossfahrer durch die Gegend gezogen war, kannte er sich mit Motorrädern aus. Dies hier war keine von Harley Davidsons Standardmaschinen. Es war eine Sonderanfertigung. Eine wertvolle, teure Maschine. Aber fuhr ein Achtundachtzigjähriger wirklich noch Motorrad? Dann mußte er tatsächlich in sehr guter körperlicher Verfassung sein.
Stefan öffnete das Tor und folgte dem
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