Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
und das Wasser hatte das Gewicht einer Lawine. Weil sie sich nicht anders zu helfen wusste, ließ sie sich auf alle viere nieder, klemmte ein Ende des Stabs in einen Spalt zwischen Felsbrocken und zog sich daran hoch.
Das Holz war glatt und nass; es hätte ebenso glitschig wie die Steine, ebenso unzuverlässig sein sollen. Aber Linden hatte den Stab aus Liebe und Trauer und ihrer Leidenschaft als Heilerin geschaffen. Ihre Hände rutschten nicht von ihm ab, als sie langsam unter die volle Wucht der Wassermassen weiterkroch.
Sie drohten Linden zu zerschmettern, sie mit sich fortzureißen, raubten ihr die Atemluft. Trotzdem hangelte sie sich den Stab entlang, bis sie zu einer Stelle kam, wo sie einen Arm sicher zwischen die Steine klemmen konnte. So verankert nutzte sie ihre freie Hand dazu, den Stab hinter sich herzuziehen und sein mit Eisen beschlagenes Ende gegen einen Felsbrocken zu stemmen. Dann arbeitete sie sich an ihm entlang höher, während schäumende Wassermassen sie wie Keulenschläge trafen, ihr Augen, Nase und Mund füllten und an ihrer Kleidung zerrten.
Als sie sich wieder verankert hatte, setzte sie den Stab höher ein, umklammerte ihn mit verzweifelter Kraft, kletterte weiter. Und noch ehe sie das Ende des Stabes erreichte, gelangte ihr Kopf aus den erbarmungslosen Sturzfluten in völlige Dunkelheit, und Linden kroch keuchend aus dem Wasserfall auf flachen felsigen Untergrund hinaus. Ihre Arme und Beine zitterten vor Anstrengung, als habe sie eine steile Felswand erklettert; sie fühlte sich zu schwach, um sich das Wasser aus den Augen zu wischen. Kein Schimmer, nicht die geringste Andeutung von Felslicht drang durch das herabstürzende Wasser. Mit ihrem Stab in Händen lag sie in mitternächtlichem Dunkel da. Falls ihre Gefährten irgendein Geräusch machten – falls sie auf sie warteten, statt zu ihrem Ziel weiterzuhasten –, hörte sie es nicht. Sie wusste nur, dass sie hören konnte, weil ihr Keuchen sich durch Granitmassen eingeengt vor ihr auszubreiten schien.
Der Fels unter ihr war so glatt wie die Steine im Wasserfall, doch er war nicht nass, nicht über Äonen hinweg von Wasser glatt geschliffen worden. Vielmehr widerstand er jeder Berührung. Geruch und Geschmack von Erdkraft waren hier konzentrierter: so durchdringend stark, dass ihr wieder die Augen tränten, und zu potent, um die Berührung durch gewöhnliches Fleisch zu gestatten. Gestein, das halb metaphysisch geworden war, wies ihre Hände, ihre Knie, ihre Stiefel ab.
Und erst der Geruch ... Das Aroma von destillierter Kraft überwältigte alle ihre Sinne. Sie versank darin. Es veränderte sie so grundlegend wie jede Zäsur, enthielt aber keine Falschheit. Auf seine eigene Art war es so massiv und riesig wie der Melenkurion Himmelswehr, und ihre Sterblichkeit konnte es nur andeutungsweise erfassen. Instinktiv presste Linden ihre Stirn an den Fels, vollzog einen Akt der Unterwerfung vor der souveränen Vitalität der Erdkraft.
Das Holz des Stabs war heiß geworden. Er strahlte Hitze ab, als sei er aus rot glühendem Eisen geschmiedet. Er hätte sie verbrennen, ihr die Haut von den Fingern sengen, ihre Kleidung in Brand setzen müssen. Aber das tat er nicht. Er gehörte ihr. Wegen ihrer Beziehung zu ihm konnte Linden ihn trotz seiner eigentümlichen Reaktion auf das Übermaß an Erdkraft weiterhin in Händen halten, ohne Schaden zu nehmen.
Ein Tunnel, hatte Jeremiah gesagt. Hinter dem Wasserfall.
Sie hörte noch immer nichts. Covenant und Jeremiah mussten vorausgegangen sein. Covenant hatte sie gewarnt, wenn sie das Erdblut nicht unmittelbar nach seinem und Jeremiahs Verschwinden trinke, komme sie vielleicht zu spät, um ihren Sohn vor den Folgen von Joans Tod zu retten. Trotzdem hatten die beiden sie hier zurückgelassen.
Sie brauchte Licht. Und sie musste es schaffen, auf Fels zu stehen, der jede Berührung zurückwies. Wenn sie ihre Gefährten nicht einholen konnte ...
»Sie hat es geschafft«, drang plötzlich Covenants Stimme durch die Finsternis, und Linden glaubte, Befriedigung in seinen Worten zu hören.
Ohne dich kann ich es nicht schaffen.
Er ertrug die ungeheuren Gefahren des Tunnels so mühelos, als könnten sie ihm nichts anhaben. Also hatte er gelogen, was die Gründe betraf, aus denen er Berek Halbhands Berührung meiden musste. Und die ihrige. Einmal mehr gelogen.
»Wie ich dir gesagt habe.« Jeremiahs Stimme klang wie das Dunkel. »Du hast es getan, als du mit Elena hier warst. Und du warst nicht mal halb
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