Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
wurden drängender. Der Käfig blieb jedoch stabil, ortsfest versteinert, gab kein hörbares Geräusch von sich. Trotzdem reizte sein Trommeln Lindens Nerven, als könne er jeden Augenblick in Stücke fliegen.
Nachdem Jeremiah die letzten Äste eingepasst hatte, fing er an, sie scheinbar planlos mit Zweigen zu garnieren. Der stumme Ruf des Gebildes wurde zu einem dumpfen Grollen. Sie spürte es tief in ihrer Kehle, mitten in der Brust.
»Scheiß auf den Theomach«, knurrte Covenant mit zusammengebissenen Zähnen. »Scheiß auf die Elohim. Scheiß auf alle.«
Dann war Jeremiah fertig. Augenblicklich verschwanden der Melenkurion Himmelswehr und das Plateau, der Sonnenschein und der hohe Himmel wie vom Angesicht der Erde getilgt. Linden und alle ihre Alternativen wurden in absolute Dunkelheit gestürzt.
*
Linden spürte, wie der Stein unter ihr verrutschte und zu kippen drohte. Sie begann in liegende Stellung abzusacken; dann fing sie sich wieder. Die Verschiebung war so gering, dass der Stab sich nicht bewegte. Mit angespannten Muskeln konnte sie das Gleichgewicht bewahren, während ihre taumelnden Sinne sich bemühten, die völlig veränderten Realitäten zu erfassen.
Der Fels unter ihren Fingern war nass. Feuchtigkeit lag in der Luft; nebelfeine Wasserschleier nässten bereits ihre Wangen, ihre Hände. Linden glaubte zu spüren, wie ungeheure Massen sie von allen Seiten bedrängten: Basalt und Obsidian, Schiefer und Granit, Meile auf Meile der ältesten Gesteine des Landes.
Jeremiah hatte sie in die Tiefen des Berges versetzt.
Die Fläche, auf der sie kniete, war über Äonen hinweg von Wasser glatt geschliffen worden. Trotzdem war sie eher warm als kalt, von den Energien im Inneren des Himmelswehrs spürbar aufgeheizt. Die Tröpfchen auf ihrem Gesicht fühlten sich wie Schweißperlen an.
Die bevorstehenden Erschütterungen, die sie auf dem Plateau beunruhigt hatten, waren hier stärker. Im Untergrund war sie den Kräften näher, die den Melenkurion Himmelswehr eines Tages von oben bis unten spalten würden. Aber dieses Erdbeben würde sich nicht jetzt ereignen. Größere Kräfte würden nötig sein, um eines Tages die unvermeidliche Krise auszulösen.
Diese Empfindungen waren jedoch Kleinigkeiten, in Wirklichkeit unbedeutend. Die unerklärliche Feuchtigkeit in der Luft und das fast hörbare Ächzen der Wurzeln des Berges verblassten, sobald Linden sie wahrnahm; wie das Plateau und der hohe Himmel wurden sie von reiner Kraft hinweggefegt. Sie war von Erdkraft umgeben, völlig in sie eingetaucht. Ihre urzeitliche Kraft wirkte so gewaltig wie der Himmelswehr selbst – und ebenso unwiderlegbar. Im Vergleich zu ihr waren die Heilkraft des Wassers im Glimmermere und das bewusstseinsverändernde Wasser des Bergsees, an dem das Rösserritual stattfand, belanglose Episoden im wahren Leben der Erde, und alles, was Linden seit ihrer Rückkehr in das Land getan hatte, verblasste zur Bedeutungslosigkeit. Hier lag der unberührte Quell der Vitalität und Schönheit des Landes. Wäre die Erdkraft nicht so natürlich und rein, für jeden Aspekt der lebenden Welt so nötig wie Sonnenlicht gewesen, wäre allein ihre Nähe ihr Verderben gewesen.
Und trotzdem ...
Sobald sie das konzentrierte Vorhandensein von Erdkraft bemerkte, erkannte sie auch, dass sie ihren Ursprung noch nicht erreicht hatten. Die gewaltige Macht, die sie umströmte, war mit gewöhnlichem Wasser verdünnt. Die Wassernebel, die sich auf ihrer Stirn niederschlugen, ihr in die Augen tropften und ihr über die Wangen liefen, stammten aus weniger geheimnisvollen Quellen. Sie waren reich an Mineralien, die aus dem Urgestein des Berges ausgewaschen wurden, um das Land zu nähren. Wäre sie darin eingetaucht, hätte sie vielleicht die Müdigkeit von ihrem geschundenen Körper abspülen können. Aber sie waren nicht das Blut der Erde. Jetzt zitterte Linden, aber nicht vor Kälte, sondern vor Angst. Sie würde ihr Vorhaben bald verwirklichen müssen und fürchtete, sie könnte versagen.
»Jeremiah?«, krächzte sie. »Schatz? Covenant?« Aber kein Laut antwortete ihr. Grabesstille umgab sie auf allen Seiten. Erdkraft ließ die Wassernebel und das Gestein und die feuchte Luft schweigen.
Panik umkrampfte ihre Brust. Sie hob ruckartig den Kopf, schloss ihre Finger um den Stab. Dann hielt sie inne.
Das Holz des Gebildes hatte angefangen zu leuchten. Oder vielleicht hatte es schon immer geleuchtet, aber ihre Sinne hatten diese Tatsache bisher nur nicht
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