Die Ruhe Des Staerkeren
uns haben schon andere gekämpft. Ich lasse meinen Gegner nicht den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen, und er beobachtet mich. Er ist ein Pitbull-Terrier wie ich, aber sein Fell ist nicht braun gescheckt wie meines, sondern weiß, rosa schimmert seine Haut durch die kurzen Haare. Er hat eine lange Narbe an der linken Flanke, eine am Hals und eine andere zwischen den Ohren. Er fixiert mich. Auch er sieht die Spuren meiner Kämpfe, die ich trage wie eine Auszeichnung.
Ein Strich, die Scratch-line, läuft diagonal durch den Pit, und ein Halbkreis deutet die Ecke an, in die ich getragen werde. Das Frottétuch wird abgenommen. Karol, mein Herrscher, hält mich fest, bis der Befehl kommt.
»Face them.«
Karol dreht mich zum Pit.
Der andere fixiert mich. Sein Herr hat beim Münzwurf gewonnen. Er muß als erster über die Scratch-line, erst dann darf ich losgelassen werden. Es ist ein taktisch entscheidender Moment. Er wird auf mich zu rasen, und wenn er zu schnell ist, kann ich unmerklich ausweichen und erwische ihn, bevor er seine Balance wiedergefunden hat. Wenn er aber taktiert, dann kommt es darauf an, wer zuerst zum Biß kommt.
Ich empfinde keine Schmerzen, das wurde mir früh abtrainiert. Und ich kenne keine Gnade, wenn ein anderer sich unterwirft. Früher, wenn ich zu entkommen versuchte, wurde ich bestraft. Elektroschocks und Tritte. Und wenn ich Nachsicht zeigte auch. Ein Hund in Demutshaltung verhält sich unfair, asozial in bezug auf seinen Herrscher. Karol lobt mich, je aggressiver ich bin. Und löse ich eine Aufgabe gut, dann wird die nächste schwerer. Ich suche zu anderen Hunden keinen Sozialkontakt, ich beiße sofort zu, wenn möglich in Kopf oder Schnauze. Oder in die Brust, denn ich bin ein Chest dog. Ich habe oft genug gesehen, wie Verlierer behandelt werden. Mit dem Hammer erschlagen, am Ast des nächsten Baumes erhängt, mit Benzin übergossen und bei lebendigem Leib verbrannt. Aber ich trage den Angriff in mir wie andere ein Herz. Man kann niemand zur Attacke überzeugen, wenn er das nicht in sich hat. Und ich bin gut vorbereitet. Mein Herr darf nur in den Pit, wenn der Referee uns trennt, weil wir uns ineinander verbissen haben oder wenn keiner mehr angreift vor Erschöpfung. Oder wenn ich mich verfange, mein Reißzahn durch meine eigene Lefze dringt. Dann wird sie mit einem Stift angehoben und befreit, ich zurück in meine Ecke geführt, und der nächste Turn beginnt. Die Regeln sind eisern.
Der Sekundenzeiger rückt auf die Zwölf, der Referee brüllt: »Let go!«
Der Weiße überquert die Scratch-line schnell. Karol läßt mich sofort los. Ich erwische den anderen an der Schnauze und versuche, ihn mit meiner Körperkraft niederzuringen. Er ist stark, reißt sich frei, blutet, setzt aber wieder an. Ich erwische ihn erneut zuerst, diesmal sitzt mein Biß tiefer, ich rüttle, er springt hoch und schiebt mich zurück, er dreht sich neben mich, doch dann wendet er Kopf und Hals ab, worauf der Kampf unterbrochen werden muß. Der Referee kommt herbei, ruft »New Turn«, schiebt den Breaking-Stick zwischen meine Kiefer. Karol trägt mich in die Ecke zurück. Er wäscht mich eilig mit einem Schwamm, dann kommt der Ruf des Referees, »fifty seconds«, mein Herr dreht mich wieder zum Pit.
Der Referee senkt den Arm nach genau sechzig Sekunden. Die erste Runde dauert über eine halbe Stunde, bei jeder Attacke brechen die Zuschauer in frenetischen Jubel und Applaus aus. Nur Karol und dem anderen ist es durch die Spielregeln untersagt, Kommandos zu geben. Sie müssen außerhalb des Pits auf ein Zeichen des Referee warten, bevor sie hereindürfen.
Den zweiten Turn beginne ich. Der andere wird losgelassen, bevor ich die Scratch-line überschritten habe, doch der Schiedsrichter reagiert nicht. Außerhalb des Pits grölen die Zuschauer, das war gegen die Regeln. Einer wirft eine Flasche, die neben dem Tisch des Buchmachers aufschlägt und zerschellt. Diesmal ist der Weiße schneller, er verbeißt sich in meine Flanke, er ist ein Stomach dog, doch ich ringe ihn zu Boden und ramme meine Zähne in sein Hinterbein. Er bricht ein, ohne seinen Biß zu lockern, reißt mich zur Erde. Ich scharre, bis ich Halt finde, und zerre ihn durch den Pit. Dann Stillstand, keiner läßt den anderen los, wir werden wieder getrennt und wieder in die Ecke getragen.
Der Weiße hinkt. Ich verliere Blut aus der Wunde an meiner Flanke und er am Bein und am Ohr. Er hat den nächsten Scratch. Er erwischt mich wieder an der Flanke.
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