Die Ruhe Des Staerkeren
vierzig war, gehörte schon zum alten Eisen und hatte dort nichts zu suchen.
»Deine kleinwüchsige Mitarbeiterin ist über beide Ohren verknallt. Und ich dachte immer, sie wüßte mit Männern nichts anzufangen. Du hättest sie sehen sollen.«
»Und was geht mich das an?« rief Laurenti ins Telefon.
»Pina im Minirock und mit einer Seidenbluse, die sie so weit aufgeknöpft hatte, wie es sonst nur deine Marietta schafft, die allerdings deutlich mehr zu bieten hat. Also, Pina war heute abend bei uns im Restaurant zum Abendessen mit einem jungen Mann, der genau den selben Haarschnitt hat wie sie und in einem Rollstuhl sitzt. Und draußen wartete ein weinroter Maserati Quattroporte auf die beiden. Da staunst du!«
»Du kiffst zuviel! Ich habe dir schon oft genug gesagt, du sollst damit aufhören«, schnauzte Laurenti.
»Das hat doch damit nichts zu tun. Ich dachte, das interessiert dich.«
Laurenti hörte nur noch das Tuten. Er mußte dringend mit seinem Sohn reden. Der Junge dröhnte sich zu wie ein Irrer, und auch mit dem Alkohol übertrieb er. Wie oft hatte Laurenti ihm klarzumachen versucht, daß er mehr als seinen Führerschein riskierte, wenn er in diesem Zustand bei Wind und Wetter mit seiner Vespa durch die Stadt donnerte? Nur, so kurz vor Weihnachten nähme Marco ihn noch weniger ernst als sonst. In dieser Zeit war in der ganzen Stadt kein Mensch nüchtern anzutreffen.
»Was wollte Marco?« fragte Laura.
»Der Junge hat eine blühende Phantasie. Und er kifft zuviel.«
»Das ist auch nicht schlimmer als eine Flasche Wein«, sagte sie und knipste das Licht aus.
*
»Ich habe Mathematik und Philosophie studiert«, sagte Sedem, als das Vitovska-Risotto mit sanft gerösteten Jakobsmuscheln serviert wurde, ein neues Gericht auf der Karte von Ami Scabar. »In London«, fuhr Sedem fort. »Aber ich bin im dritten Jahr abgesprungen, obwohl mich beides bis heute fasziniert. Ich brauche keine Zeugnisse als Existenzberechtigung, jetzt mache ich per Internet weiter, wenn ich die Zeit dazu finde. Aber trotz oder wegen dieses Apparats hier«, er klopfte auf die Lehne seines Rollstuhls, »hatte ich es eilig, praktischere Dinge zu tun.«
Pina hatte den ganzen Tag gewartet, bis sie endlich alleine war und ungestört seine Anrufe erwidern konnte. Als sie seine Nummer wählte, dachte sie daran, daß es am Sonntag, übermorgen, eine Woche wäre, daß sie sich kannten – und sie wußte noch immer nicht, was sie davon halten sollte.
Zuerst hatte sie die Klänge von Duke Ellingtons »A Prelude To A Kiss« vernommen, und Sedems Stimme erst, als er die Lautstärke leiser stellte. Er war wie immer heiter und bester Laune und schlug sofort vor, sie zum Abendessen auszuführen, natürlich ins beste Restaurant der Stadt, in dem er für großzügige Trinkgelder bekannt war.
Die Verhaftung von Domenico Calamizzi am Grenzübergang Fernetti war reibungslos verlaufen. Der Mann war so perplex, daß er nicht die geringsten Komplikationen machte. Das anschließende Verhör allerdings war unergiebig, obwohl Pina harte Saiten aufgezogen und mit Drohungen, Gebrüll und Freundlichkeit, die sich lehrbuchmäßig abwechselten, nicht gespart hatte. Doch zumindest konnte sie den Mann verunsichern, als er endlich verstand, daß er nicht, wie er hoffte, an die Mailänder Kollegen übergeben würde, solange sie nicht mit ihm fertig war. Eine verkohlte Leiche, deren DNA mit den Blutspuren in seinem Wagen übereinstimmten, die Knochensplitter, die von der Schädeldecke des Mannes stammten.
»Kein Problem, dir einen Mord anzuhängen«, hatte Pina ihn angebrüllt, doch Calamizzi blieb stumm und starrte sie herausfordernd an.
Er saß völlig entspannt und mit ausdruckslosem Gesicht auf seinem Stuhl – Pina kannte solche Typen, die eine mehrjährige Haftstrafe anscheinend gleichgültig hinnahmen, anstatt auszupacken und den Clan zu verraten. Kurz vor sieben brach sie das Verhör ab und ließ ihn in seine Zelle bringen. Sie mußte sich sputen. Auf dem Heimweg wollte sie noch rasch etwas Schickes zum Anziehen kaufen und schaffte es auf die letzte Minute, sich für den Abend herauszuputzen. Sedem staunte, als er sie sah. Pina trug einen kurzen roten Rock und eine rote Seidenbluse. Die rosafarbenen Strümpfe allerdings waren ein unverzeihlicher Fehlgriff. Und mit Grazie in hohen Schuhen zu laufen, hatte sie nie gelernt – ganz abgesehen von dem Verband an ihrer Ferse.
»Ich brach mein Studium ab und kam zurück, obwohl es mir schwerfiel, wieder
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