Die Ruhelosen
in Sopron viel zu viel Aufsehen auf sich gezogen hatte, wieder auf den rechten Weg bringen.
François Schön konnte derweil im Norden seinen Geschäften nachgehen, neue Handelsverbindungen erschließen und an seinem Wohlstand werkeln. Hauptsache, dasKind bliebe möglichst lange hier unter seinen Fittichen und fern von einem gewissen italienischen Strolch in Bern.
Móni und Karcsi, sechzehn und vierzehn Jahre alt, waren die Kinder der Familie Bagoly. Mondaine schloss die beiden sofort ins Herz und füllte es mit ihnen bis in die hintersten Winkel aus. Fast so, als dränge sie dabei etwas anderes zur Seite, das nur sie wusste, etwas Schlimmes, Schreckliches, das Unheil verkündete in jedem Moment, wenn man es nicht willentlich ignorierte. Móni war ein hübsches, zartes junges Mädchen mit braunem seitlich gescheiteltem Haar und Armen, die lang und schmal an ihr herunterhingen. Am liebsten hielt sie sich draußen, an der frischen Luft, im Garten auf. Ihre Kleider waren zierlich geblümt, und auch ihre Armbanduhr war äußerst schmal. Alles an Móni bestätigte eine einzige Aussage: dezent.
Ihr Bruder Karcsi trug diesen ganzen Sommer lang kurze weiße Hosen, ein weißes Hemd mit einem weißen Jäckchen sowie weiße Kniestrümpfe, die aus seinen Lederschuhen wie junge Apfelbaumstämme emporwuchsen. Auf dem Kopf keckte eine Sportmütze, die ihm seine Eltern zu seinem letzten Geburtstag geschenkt hatten, versehen mit dem Familienwappen als deutlichem Emblem der guten Herkunft.
Sein Liebslingsort rund um das Schloss war ein enges Tannenwäldchen, in dem er Kind sein konnte. Hier versteckte er seine Schätze: einen Siegelring, einen Gürtel mit Silberschnalle, ein Buch. Karcsis Schätze wechselten von Tag zu Tag, und das wirklich Spannende war für ihn ohnehin die Reaktion seiner Freunde, wenn er sie ins Tannenwäldchen einlud und ihnen mit schmalen Augen und verschwörerischem Blick irgendwelche erfundenen ritterlichen Herkunftsgeschichten vorlog, welche die Artefakte für ihn adelten. Und wenn Móni also für das Dezente stand, so stand Karcsi für das Furchtlose.
Mondaine wurde den beiden zur guten Freundin. Älter zwar, reifer und erfahrener als sie, steckte in ihr noch immer der einstige Wildfang, das Kind der Berner Matte, das gerne auch einmal mit nur dem einen Schuh nach Hause kam. Und so lernten sie des Morgens für zwei, drei fleißige Stunden die Konversation in der französischen Sprache und vergnügten sich Nachmittag für Nachmittag draußen in den einladenden Weiten des Gartens oder, wenn es die Herrschaften wollten, bei einem Pferderennen in Miskolc. Bald schon kannte Mondaine jeden Winkel und jede versteckte Ecke dieses Anwesens, sie rief die unzähligen Hunde alle mit dem richtigen Namen und wusste, auf welchen Pferden die Ausritte zum Vergnügen wurden und auf welchen eine Qual fürs Handgelenk.
In beidem sattelfest, fand sich Mondaine sowohl in der abenteuerlichen Burschenwelt des jungen Karcsi zurecht wie auch in den Gepflogenheiten, die bei Hofe herrschten. Zwei Dinge nur, die sie schlecht ertragen konnte: die Hermelinzucht hinter dem Hause, ihr graute jedes Mal, wenn sie das Schreien und Fiepen der Tiere hörte, und zum Zweiten die Art und Weise, wie die gehobene Gesellschaft mit ihren Bediensteten umsprang. Hund und Esel waren dabei noch die milderen Ausdrücke, mit denen sie ihr Personal bedachte. Mondaine wurde ganz schwindelig davon. Mehr als einmal beobachtete sie, wie jemand sogar nach einem Heubinder oder Zimmermädchen trat, es wallte dann eine Empörung in ihr auf, als gingen diese Tritte gegen sie selbst.
Nachdenklich und traurig spazierte sie an einem solchen Nachmittag durch Miskolc und sah eine kleine Katze ohne Schwanz durch die Gassen schleichen. Als ihr ein Hund entgegenkam, spitzte diese lediglich die Ohren und ging unbeirrt ihres Weges, und Mondaine dachte trüb und verdüstert: Kein Wunder. Ein Hund ist ja kein Mensch.
dä Schnäller isch dä Gschwinder
Küsnacht, 1936
Während sein Bruder Severino mit der Nationalelf dem Schweizerstolz angehörte und in allen Landen unterwegs war – weg vom Familienoberhaupt Guerrino Senigaglia –, derweil die Brüder Tullio, Benedetto und Ultimo brav das taten, wozu sie bereits im Kindesalter vom Vater bestimmt worden waren, nämlich Koch, Kaufmann und Buchhalter zu sein und damit den reibungslosen Betrieb des Falken und des Comestibles an zehn bis zwölf Stunden pro Tag und im Falle des Kochs auch an sechzehn zu gewährleisten,
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