Die Ruhelosen
einfach mit rotem Wein hinunter. Und immer wieder versuchte er auch, dieses unangenehme Gefühl der Unzulänglichkeit zu kaschieren, indem er seine Familie zu verschwenderisch großen und verschwenderisch teuren Diners mit verschwenderisch vielen Getränken einlud. Damit konnte er sich wenigstens kurzfristig darüber hinwegtäuschen, dass er hier als Vagabund und Unrast gehandelt wurde. Im Stillen aber staunte er mit verwirrendem Verlangen.
Seinem Halbbruder Balin Schön war es gelungen, das Geschäft des gemeinsamen Vaters, Ferenc Dušan Schön, weiter auszubauen und stetig weiterzuentwickeln. Nicht nur die Damen und Herren des Ortes waren seine Kunden, in regelmäßigen Abständen fuhr der kahle Friseur aus Sopron weite Strecken mit der Kutsche, zum Beispiel bis auf Schloss Esterházy nach Fertöd hinaus, und bediente dort, ganz der alten Tradition gemäß, den Adel.
François registrierte, dass sein Bruder die hübsch gearbeiteten Kammwaren, die er ihm aus Bern mitgebracht hatte, höflich dankend entgegennahm. Sofort vermutete er in dessen Lächeln Hohn. Und was war das für ein Gesichtsausdruck, als François ihn korrigierte und auf der französischen Aussprache seines Namens bestand? Bedauern?
Später belauschte er zufällig ein Gespräch. Das Fenster der Küche ging auf den Hinterhof. Im Schatten eines alten Reneklodenbaums rauchte er eine Zigarre und hörte jedes Wort, das diese Zelma Scheu von sich gab.
»Was weiß er denn schon vom Leben, dieser Feri, der sich jetzt François schimpft. Was weiß er schon vom Lieben, vom wirklichen Gernhaben. Seine Tochter behandelt er das eine Mal wie ein Vorzeigeobjekt, das andere Mal wie seine Geliebte. Hast du nicht bemerkt, wie lüstern, wie besitzergreifend er sie anschaut, diese kleine Mondaine? Nein, dein Bruder hat ja keine Ahnung. Er ist und bleibt ein Getriebener, der seine eigene Frau aufs Sträflichste vernachlässigt. Es ist kein Wunder, Balin, dass du ihn im Grunde deines Herzens nicht lieben kannst. Er ist verdorben, und je eher wir uns das eingestehen, umso besser.«
So war Balins Mutter also froh und überaus erleichtert, als François Schön zusammen mit seiner kummervollen, schwammigen Mauritzia, dem vorlauten Chauffeur und dem Citroën Traction Avant, den Koffern voller Geld und den Adressen, die er alle noch aufsuchen wollte, bald schon abrauschte und sie ihre Nichte Mondaine ganz unbeobachtet in die warmen Arme schließen konnte. Nun musste sie sich des Morgens nicht mehr davor fürchten, den Schwager in einem unziemlichen Zustand in irgendeiner Ecke des Hauses vorzufinden, wo er seinen Rausch ausschlief. Englischer Tweed und italienischer Hut zum Teufel, so etwas brauchte sie in ihrem Leben nicht.
Balins Haus war ein offenes. Die sieben Brüder seinerFrau Hajnalka fanden hier ebenso Logis für den Sommer wie Freunde und Bekannte. Vom Bildhauer László, dem Vetter István bis zur Cousine Agi. Und alle waren sie angetan von der strahlenden Blonden: Mondaine. Die Tage schienen nicht genug, um all die tollen Ausflüge zu unternehmen! Gemeinsam fuhren sie zur Teichmühle, einem kleinen Badesee in der Nähe von Sopron, wo man kühles Bier trank und an langen, reich gedeckten Sommertischen redete und lachte. Mondaine in einem kecken schulterfreien, bauchfreien Seemannstrikot, das ein goldener Anker auf weißem Band zierte. Die dunkelblaue Pumphose flatterte ihr um die Beine, und sie redete und lachte mit, und als ihr László vorschlug, später ihren Kopf zu modellieren, willigte sie begeistert ein. Onkel Balin hatte ihr die Haare gescheitelt und seitlich onduliert, liebevoll, sorgfältig, so wie er sich bei seiner ganzen Familie immer um die Haare kümmerte, und die Tante Hajnalka hatte ihr einen grünen Bakelitreifen über das Handgelenk geführt, der perlig glänzte.
Wenn sie nicht zur Teichmühle fuhren, besuchten sie das Loever Bad. Die Frauen mit hochgestecktem Haar oder einer Haube, die Männer verwegen ihre nassen Locken durch die Luft schwingend, tobten sie sich über und unter Wasser aus. Dabei war Fangen das Beliebteste und Mondaine begehrte Beute.
Einmal gingen sie zu sechst auf eine Kahnfahrt, bei der sie absichtlich kenterten und einander retten konnten …, Mondaine lachte und schnappte nach Luft, vergaß, was ihr das Herz beschwerte, und war immer die Erste, wenn es darum ging, zu einem neuen Ausflug ja zu sagen.
Gemeinsam mit den Onkeln und Tanten, den Cousinen und Cousins unternahm sie lange Wanderungen über blühende Wiesen mit
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