Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
Vom Netzwerk:
indes Aurora beim Bedienen half, kam es, dass Nunzio, der über die Geleise hinweg vertriebene Sohn, im Restaurant Weinberg einmal eine Konversation mitanhörte, die eigentlich nicht für seine Ohren bestimmt gewesen war. Nunzio hatte am Hintereingang soeben die frisch gestrichenen Fensterläden abgeladen und war vom Wirt zu einem Häfeli Milchkaffee eingeladen worden, als er die zwei Mannen in seinem Rücken zweifelsohne über seinen Vater, Guerrino, sprechen hörte. Die Nackenhärchen standen ihm stramm, als er mit engen Lippen die Schale süffelte – er horchte.
    »Der hat doch tatsächlich alles runtergewirtschaftet und Restaurant wie Laden, die ganzen Errungenschaften, eine um die andere ins Loch gezogen!«
    »Was willst du, Tschingg bleibt eben Tschingg. Das Kaufmännische ist denen nicht gegeben. Der Südländer kann halt nicht so gut rechnen wie unsereins.«
    »Dazu hat er aber doch extra den einen Sohn heranbilden lassen, Buchhalter soll der ja sein.«
    »Wer’s glaubt, wird selig.«
    »Tut wie ein Großhans, ist aber eine ganz kleine Wurst.«
    »Und das hat dir also der Max erzählt?«
    »Alles. Haargenau. Wie ich’s dir eben berichtet habe.«
    Dann war für einen kleinen Augenblick Stille, und Nunzio strengte seine Ohren an.
    »Der eine hat’s ja noch rechtzeitig gerafft, der ist ennet den Geleisen.«
    »Wer? Der mit seinem Gartenhüüsli?«
    Nunzio schluckte seinen Protest hinunter. Seit dem Jahre 1933 war er aufrechter Besitzer eines Austin 7. Englisches Wunderwerk in Schwarz und Dunkelblau. Mit blitzenden Speichen und einem verlässlich ratternden Motor, dessen Zylinderkopf am 17. August 1932 gegossen worden war. Bei der samstäglichen Wagenwäsche polierte er die eingegossenen Daten ganz besonders liebevoll, ebenso wie er das Nummernschild geflissentlich von Straßenstaub rein hielt: ZH 5887. Dass dieses Bijou von Schweizer Holzköpfen nicht als das erkannt werden konnte, was es war, schmerzte ihn. Es war nicht das erste Mal, dass er die Dörfler über seine Limousine – 3023 mm Länge, 1588 mm Breite und ein Radstand von 2057 mm – herziehen hörte. Nur weil sie einen verhältnismäßig hohen Aufbau hatte und in engen Kurven gerne wankte, war das noch lange kein Grund, seinen Austin als Gartenhäuschen zu verschimpfen. Immerhin war es ja doch er, der Austinfahrer, den man sich gerne schnell zu Hilfe rief, wenn es ans Transportieren von klafterweise Bau- und Kohlholz oder ganzen Gartensesselgarnituren ging. Nunzio hatte, kaum dass der Wagen geliefert und vor dem Hause angekommen war, auf den zwei Trägern, die auf dem Dach aufgeschraubt waren, eine lange Holzbrücke montiert. Jalousien, Türen, Türrahmen, rohe Bretter – alles konnte er darauf festbinden und durch ganz Küsnacht chauffieren, selbst den steilen Hang die Schiedhaldenstraßehinauf und über die Allmend wieder hinunter, ohne dass sich die Ladung einen Centimeter lockerte oder verschob. Als Malermeister war er nicht zuletzt auch deshalb bekannt, wie er im weißen Kittel mit schwarzer Melone leicht vorgebeugt hinter dem Rechtssteuer seines Austin-Wunderwerks um eine Ecke ratterte mit Ladegut, das den Wagen in seiner Länge und Breite gut und gern verdoppelte.
    »Ja, der hinter den Geleisen«, sprach da der andere weiter, »und der Tschütteler hat’s auch geschafft, aus dem ist ein rechter Schweizer geworden. Der zeigt auf dem Platz noch jedem, wo der Bartli den Most holt, ha ha.«
    »Ein richtiger Fußballtitan!«
    »Ein guter Techniker!«
    »Gerissen, mit viel Kampfgeist …«
    »… jawoll.«
    »Was ist eigentlich mit dem Mädchen? Die wär doch jetzt im heiratsfähigen Alter?«
    »Ich glaub, das wird für einen Südländer aufgespart. Jedenfalls sieht man es kaum auf der Straße.«
    »Ja, ja, die Überfremdung macht auch vor Küsnacht nicht halt. In der Stadt unten regieren ja schon lange die Deutschen, kaum ein Lehrstuhl, der noch für einen Hiesigen frei wäre!«
    »Verdeutschung, Verjudung, Überfremdung, wenn wir nicht bald aufpassen, wird das Land förmlich geschwemmt von solchen, die einfach nicht assimiliert werden können.«
    »Die Tschinggen im Tunnelbau, das ging ja noch, da war ja noch ein gewisser Sinn dahinter. Aber als Kaufleute? Die? Meinen, die können hier das schnelle Geld machen …«
    »Tja. Geld ist nicht alles. Aber es hat einen Riesenvorsprung vor allem, was danach kommt. Und irgendwie ist er halt doch mal an Geld gekommen.«
    »Das nun futsch ist.«
    »Am Schluss, du, werden die noch armengenössig, wirst

Weitere Kostenlose Bücher