Die Ruhelosen
selbstsicheren, körperbewussten Geschöpfe, die ihre sonnengebräunten Beine gerne herzeigten, die ihre Waden nicht versteckten und ihre Hüte zur Koketterie benutzten, die den Ton angaben. Es waren vor Gesundheit strotzende Frauen der Tat, natürlicher als die Damen in Budapest und frischer als die in Wien und für Mondaine grad ebenso begehrenswert wie das samtweiche, das feine Soproner Wasser. »Wer solches Wasser trinkt, muss einfach ein glücklicher Mensch werden«, behauptete sie immer wieder, wenn sie den dunklen, klebrigen Beerensirup, den ihre Tante Anna Sebastiana gekocht hatte, hineintröpfelte, auf dass er in öligen Schleiern dem Glasgrund entgegenschwebte.
Hin und wieder unternahmen sie auch Spazierfahrten mit der Kutsche oder ritten aus, Mondaine und ihre Soproner Verwandten.
Den Aussichtsturm auf dem Burgstall besuchten sie an einem lauen Abend, und zwei der Cousins packten ihre Klampfen aus, legten sich rücklings auf den Boden, die Köpfe auf Mondaines Schenkel gestützt, und spielten undsangen Abenteuerlieder miteinander und um die Wette. Alles, alles machte Mondaine mit, um fröhlich zu sein, nie sagte sie nein zu einem Unterfangen, es sei denn, der Wind wehte zu stark über die Puszta, dann beschlich sie eine Beklemmung, die ihr den Atem nahm, und sie versteckte sich im Haus hinter verriegelten Fensterläden.
»Entweder geht der Wind, oder es läuten die Glocken«, war eine Redensart, mit der ihre Tante sie dann aufzumuntern versuchte. Vergeblich, Mondaine fürchtete die Soproner Gewitter wie die Katze das Wasser.
Einmal, sie war mit ihrem Onkel nach Fertöd auf Schloss Esterházy gefahren, überraschte sie ein solch böser Wind, als sie im Schlosspark über das getrimmte Gras und zwischen dem Blumenmeer lustwandelte. Wie wilde Wasser schäumten die zierlichen Häupter der Blüten mit dem ersten Windstoß auf und wogten hin und her. Mondaine drehte rasch ab und ging in Richtung Schloss zurück. Die Spatzen flogen in unkoordinierten Banden auf und verließen die in allerlei phantastischen Formen gestutzten Buchsbäumchen. Die Schwalben stürzten im Tiefflug über den Boden, und die Tauben zogen sich in ihre Schläge zurück; eine letzte Libelle wankte verloren durch die vibrierende Luft. Mondaine schritt zügig aus und berechnete mit jedem Tritt die verbleibende Distanz bis zum schützenden Schloss neu. Ob das reichen würde?
Bald schon rupfte der Wind heftiger und brach einzelne Blütenköpfe von den Stängeln, die Blumen sahen wie geköpfte Schönheiten aus. Mondaine schauderte und begann zu rennen. Ein Regen setzte ein, der ihr Kleidchen aus mercerisierter Baumwolle durchnässte, noch bevor sie bei den Gärtnereien durchkam. Es roch nach Lindenblüten, ein honigschwerer Duft, der vom Regen wie verstärkt wurde. Mondaine zuckte beim ersten Blitz zusammen, der über die Felder niederfuhr, schrie kurz auf, als der Donner grollte.In ihrem Kopf klang die eine Strophe eines selbsterfundenen Gedichtchens über Schloss Esterházy … eine Treppe für hinauf und eine für hinunter … in endloser Wiederholung, dabei konzentrierte sie sich auf das Wort hinauf, hinauf, und als sie endlich vor dem geschwungenen Treppenaufgang im Hof ankam, nahm sie die Stufen im Doppelpack. Völlig durchnässt, stand sie plötzlich da in ihrem hellen Sommerkleidchen, den weißen Lochlederpumps mit den vier Zentimeter hohen Absätzen, das Haar in Strähnen, die Brust bebend, und als sie die Blicke der Bediensteten und die der Gäste auf sich haften sah, brach sie in ein glockenhelles Freudengelächter aus, das die ganze Gesellschaft, von der ersten bis zur letzten Person, mitriss. Der Wind heulte und rauschte und pfiff durch die unendlichen, die gewundenen Flure des Schlosses, rüttelte an Türen und klopfte ans Dach, aber da stand sie, schallend lachend inmitten eines gesellschaftlichen Empfangs, hinreißend, mitreißend, die junge Mondaine im Sommer 1936, im Sommer des Vergessens, im Sommer der Glückseligkeit, der ihr Tage brachte, die sie vor den Nächten schützten, in denen sie allein und todtraurig, umgeben von düsteren Gedanken, einer Verzweiflung entgegenglitt, die sie anzog wie ein Magnet das Eisen und von der außer ihr niemand wusste.
Bald danach hatte François Schön sie nach Miskolc verfrachtet. Auf Schloss Senye sollte sie den Kindern der Familie Bagoly Französisch beibringen. Eine konzentrierte, strukturierte Arbeit, streng nach Stundenplan, würde die Widerspenstige, Abtrünnige, die auch
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