Die Ruhelosen
sehen, und liegen unserer Gemeinde auf der Tasche.«
Dann hörte Nunzio, wie sich die beiden unheilschwanger zuprosteten. Ihm platzte fast der Kragen. Wäre Nunzio ein Mann des Bizeps gewesen, er hätte diese beiden Spießgesellen, die sich da für bessere Leute hielten, schon Mores gelehrt. Aber er war kein Muskelprotz, er war ein Stiller, Überlegter, mit Vorsicht Bedachter. Und er war ein Schlauer, und als die Unterhaltung hinter ihm wieder anhob, etwas leiser, zurückhaltender nun, schmunzelte Nunzio schon längst in seinen weißen Kittel hinein.
»Hat alles zerstört, was er aufgebaut hat, der Totsch.«
»Tubel.«
»Komischer Katholik.«
»Genau. Komischer Katholik.«
»Ich meine: Kannst du’s glauben! Da merkt er endlich, dass etwas mit den Finanzen nicht stimmt, und ist sich tatsächlich nicht zu fein, einen Buchhalter, einen echten, einzustellen. Und kaum kommt der, sagt zu ihm, Herr Senigaglia, Ihre Finanzen …, Sie sind eigentlich bankrott, da jagt der ihn auch schon zum Teufel. Ja meint der denn, er könne so mir nichts, dir nichts einfach weiterwirtschaften? Als sei’s ihm grad nicht drum?«
»Hat er offene Rechnungen, weißt du da etwas?«
»Gläubiger noch und noch! Der bringt uns noch die ganze Gemeinde in Verruf. Unser schönes Küsnacht …«
»Ja, unser schönes Küsnacht.«
In Nunzios Ohren dröhnten Glocken, lauter als das Geläut der katholischen und der reformierten Kirche miteinander. Sein Vater – herabgewirtschaftet? Was wussten diese beiden da zu erzählen, von dem er selber keine Ahnung hatte? War nicht alles immer in bester Ordnung gewesen? Hatte sein Vater, dieser ewige Krieger, nicht alleund alles immer besiegt, das sich ihm in den Weg gestellt hatte?
Nunzio beschloss, das Milchchanteli Milchchanteli sein zu lassen und zur Tat zu schreiten. Er nickte dem Wirt kurz zu, der ihn besorgt musterte und Gläser trocken wischte, und ging.
Draußen, vor der Wirtschaft, strahlte ihm sein Ein und Alles entgegen. Sein blank polierter, braver Austin, sein verlässlichster Geselle, treuester Freund. An einem Mittwoch war sein Motor gegossen worden, und heute, an einem Mittwoch, sollte dieser Motor zeigen, was er konnte. Liebevoll streichelte er die Türfalle. Geduldig wartete Nunzio ab, ob sein Plan sich verwirklichen ließe.
Nicht lange gings, und die beiden Herren traten aus der Stube. Der größere von ihnen rieb sich die Augen gegen das Abendsonnenlicht. Wie vermutet, schritten sie zu dem weinrebenroten Ungetüm, einem nigelnagelneuen Buick Roadmaster. Und Nunzio wusste, dass er gesiegt hatte. Verwegen tat er einen Schritt auf die Herren zu, tat so, als würde er sie nicht erkennen, und vor allem: als könnten sie ihn nicht kennen, und warf einen Spott auf den großen Wagen. Das tat er auf Italienisch.
»Was hat der da gesagt?«
»Dass dies ein überaus großes, behäbiges Auto ist, das gegen meinen kleinen Flitzer nicht den Hauch einer Chance hat, würde sich der feine Herr zu einem Rennen entschließen.«
»Was willst du machen? Ein Autorennen? Mit deinem Göppeli dort?«
»Mit meinem Austin, ja. Mit Ihnen würde ich jedes Autorennen von hier bis nach Erlenbach gewinnen!«
»Wie stellst du dir das vor?«
Nunzio sah aus dem Augenwinkel, wie sich die beiden heimlich zufeixten. Nicht verlegen, sagte er kurz und bündig:»Hundert Meter Vorsprung, und bis Sie mich überholt haben, müssen Sie hinter mir herfahren. Danach ist der Weg bis Erlenbach freigestellt.«
»Worum wollen wir wetten?«
»Die Ehre. Nur die Ehre, werter Herr.«
Das schien den beiden zu gefallen.
»Fährst mit, Heiri?«
»Nein, fahr du nur selber, kannst mir nachher alles berichten, wie du dem Löli die Hosen runtergelassen hast!« Sie lachten wüst, und ihr Blick, der zum Austin herüberschielte, schien Nunzio voller Häme.
Dem Küsnachter Dünkel wollte er schon lange einen Riegel vorschieben. Seit er 1927 zusammen mit einem Maler aus Prag, der seinerseits seit drei Jahren eingebürgert war, die Werkstatt Senigaglia Malerei eröffnet hatte, war es zwar nicht mehr so schlimm wie früher, aber man ließ ihn schon noch wissen, wer ein rechter Eidgenoss war und wer Papierlischwyzer.
Heimlifeiß schmunzelte er in sich hinein.
Dem Fahrer des Buick schien das eine bereits gewonnene Sache, und er schlug ein. Als Startsignalgeber sollte dieser Heiri dienen. Er würde darauf zu achten haben, dass der Amerikaner erst dann losfuhr, den kleinen Engländer einzuholen, wenn dieser seinen Vorsprung hatte. Ein-,
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