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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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zurückversetzt in die Zeit, als sie als junge Gräfin Csöke, geborene Lasslob, über die weiten Ländereien kutschiert worden war, zu dem Mann, den sie fortan ihren Gemahl würde nennen dürfen. Sie in ihrem weißen Tüllkleid mit der taubengrauen Schlaufe unter der Brust und dem himmelblauen Blütenkranz, der sich durch ihr Haar zog, und die runde Sonne am Himmel oben, die dieses Glück mit heißen, gleißenden Strahlen guthieß. Was war sie aufgeregt. Und was war sie gehorsam. Sie wusste, dass sie das Rechte tat, als sie mit ihrem halben Besitztum oder etwas mehr auf Schloss Csöke Einzug hielt. In ihren Truhen befanden sich nicht weniger als vierzehn feine, wadenlange Chemisen, eine lieblicher verziert als die andere, siebenhauchzarte Hemdkleider, fünf Nachthemden und drei Schlafröcke, diverse Mieder und unzählige Unterkleider sowie Morgenhauben, acht aufwendig gearbeitete federleichte Mousselinkleider – und es stimmte gar nicht, dass diese »nackte Mode« zur Mousselinkrankheit führte, die Schwindsucht hatte es zuvor ja schon gegeben, alles nur Hirngespinste von weniger begüterten Menschen, die neidisch auf die Pariser Neuheiten schielten – und ein Armvoll Ballkleider mit abgesetzten Schleppen, Dutzende Schachteln mit Seidentüchern, Schals und Federn, vier Roben mit kurzen Ärmelchen und acht mit langen, eine winzige Weste, betresst mit feinster Chinaseide, Silbergespinst und Korallenbesatz, drei verschiedene Morgenmäntel, ein paar Dutzend Schnupftücher und Schärpen ohne Ende. Zudem die gesamte Reitausstattung, Stiefel, Rock, Weste, Handschuhe, Hut, Gamaschen aus marmorgemasertem Leder. Bestickte Reticules noch und noch, einen griechischen Peplos, auf den sie damals besonders stolz war. Einen Kaschmirschal und sogar einen englischen Redingote aus bester Kaschmirwolle konnte sie ihr Eigen nennen! Im Weiteren helle und dunkle fellverbrämte Handschuhe. Und Schuhe! Schuhe! Schuhe … mit glanzvollem Satin überzogene Ballschuhe! Lederschuhe, maßgefertigt! Ach ja, und die Pelzmuffs, die Fächer und all die anderen nützlichen Dinge, die man als junge Regentin auf einem Schloss so dringlich brauchte: Strümpfe, Schmuck und Kopfputz wie die schneeweißen Albino-Pfauenfedern, die damals so begehrt waren!
    Sie hatte nicht gefragt, aufbegehrt oder gar nein gesagt, als der Tag für sie gekommen war, ihren Schritt in der Erbfolge zu tun. Aber Alžbeta. Alžbeta.
    Ach. Kurz nach ihrer Geburt hatte das Übel eingesetzt. Wie ein böses Omen. Sie hätte es wissen müssen, das Kind bringt nichts als Unglück über unsere Häupter.
    Die ersten Haare fielen Viera da bereits in Büscheln aus. Da war keine Vorwarnung gewesen, nichts, was darauf hingedeutet hätte, dass die Gräfin Csöke plötzlich kahl werden würde. Hundert Bürstenstriche am Morgen und hundert Bürstenstriche am Abend, hatte sie denn nicht immer alles getan, was schicklich war? Was Pflicht war? Nein? Die Haare fielen ihr also in Büscheln aus, und nichts, keine der unzähligen Haartinkturen, die Doktor Slota, dieser Quacksalber, geschäftstüchtig vorbeiweibelte, hatte das Unheil verhindern können. Oder auch nur aufhalten. Viera Csöke verlor nicht nur läppische achtzig oder verschmerzbare hundert Haare am Tag, nein, sie verlor Tausende vor Gram ob der Unartigkeit dieses jüngsten Kindes. Die Zofe hatte sie schließlich alle gezählt. Zuerst war es nur eine kleine, mondrunde Lichtung, die sich an ihrem Hinterkopf abzeichnete, dann aber wurden es schnell ganze Krater, die sich in der Landschaft ihres sonst so glanzvollen Haupthaars auftaten! Dass ihre Fingernägel zur selben Zeit rau und rillig wurden, hätte sie ja noch verkraften, mit ihren schlanken ärmellangen Handschuhen elegant wegverstecken können, aber die kahlen Stellen auf ihrem Kopf konnte ihre Frisierdame nicht länger kaschieren. Da half nichts, sie musste ihren Mann ins Vertrauen ziehen. Und dieser, weitgereist und weltgewandt, tat für einmal etwas Nützliches und ließ einen Posticheur aufs Schloss kommen. Einen wohlgelittenen Juden mit seinem adoleszenten Sohn. Ein geschickter Mann in seinem Fach und umsichtiger Lehrmeister für seinen Jungen, František. So dass dieser seiner Tage einmal den Vater noch übertreffen sollte in der Kunst des Haaremachens.
     
    Diese Canaille. Jetzt war der doch tatsächlich auf den Lockruf einer tadeligen, frustrierten Adelstochter hereingefallen. Ja, sollte denn diese sturköpfige, ichsüchtige und wieihr Vater grad ebenso nutzlose Tochter

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