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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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ja doch wieder zu den Prostituierten der nahen Hafenstädte schleichen müsste. Sich zwar nicht auf eine herzensgütige Art lieben zu lassen, aber auf eine körperlich warme.
    Um weder sich noch seiner Frau Unannehmlichkeiten zu bereiten, bediente er sich der bewährten Tiermembrane. Damit schützte er sich vor der gefürchteten Franzosenkrankheit, der Syphilis, und auch vor ungewollten Fremdschwangerschaften, was nur Ärger und neues Leid für sie alle bedeutet hätte.
    Costanza ahnte nichts von seinen Seitensprüngen oder wollte ganz einfach nichts davon wissen. Mit der Zeit lernte sie ihren Mann durch diese nächtlichen Besuche besser kennen. Sie bekam auch ein Bild davon, wie sein Gehänge da unten aussehen mochte, obwohl sie sich beharrlich weigerte, ihren Blick dorthin zu lenken. Und sie bekam eine weitergefasste Idee des weiblichen Körpers und damit von sich selbst. Sie betrachtete sich nun nicht mehr so sehr als das vom Vater verstoßene unannehmlich große Kind, sondern als eigenständigen Menschen mit Möglichkeiten. Sie spürte ihre plötzliche Macht, wenn sie ihrem Mann Lust bereitete durch eine unverhinderte Bewegung oder einen Ton, und sie behielt die Fäden fest in ihren Händen, eine Grausamkeit, die sie zu genießen begann, auch wenn sie sie nur selten anwandte.
    So also waren die Männer. Ob ihr eigener Vater solches auch mit ihrer Mutter angestellt haben mochte? Ihre Mutter, dieser ewige Schatten, der im Haus von Zimmer zu Zimmer huschte in der hehren Absicht, nicht gesehen, nicht gehört zu werden, inexistent zu sein. Und ihre Tanten! Keine hatte sie auf diese Ungeheuerlichkeit vorbereitet,keiner war es auch nur einmal eingefallen, ihr, dem Giraffenkind von sechzehn Jahren, auch noch so etwas wie Wissen über die Ehe mit auf den Weg zu geben. Aus den Augen, aus dem Sinn. Da war sie nun und lernte.
    Der unaufhaltsame Fortschritt seiner Gerberei brachte es mit sich, dass Lazzaro seine Frau des Öfteren alleine lassen musste. Er hatte mittlerweile neben seinem eigentlichen Gerbgewerbe noch eine Fabrik zur Lederverarbeitung eröffnet. Nun beschäftigte er nebst den normalen Arbeitern auch von weit her gereiste Spezialisten im Sämischgerben, Rotgerben und sogar drei russische Pelzzurichter. Seine Abnehmer fand er nah und fern, auch in den umliegenden Ländern wie Böhmen, Mähren, Serbien, Rumänien; vom Königreich Italien bis in die Schweiz sogar reichten seine Handelsbeziehungen.
    Einmal, sie waren seit bald vier Jahren Mann und Frau, kam Costanza ihn in seiner Fabrik besuchen. Es war dies das erste und einzige Mal überhaupt, dass sie so etwas wie Interesse an seiner Arbeit, an ihm, zeigte. Er war hocherfreut über den Korb mit Essbarem, den sie mitgebracht hatte, und nahm ihn ihr aus der Hand mit der Galanterie eines frisch Verliebten. Er führte sie mit gestrecktem Rücken an seinem Papageienstock durch die Hallen, zeigte ihr die mächtige Dampfmaschine und die Gerbfässer, lachte über das Leinentaschentuch, das sie sich vor Nase und Mund gepresst hielt, und war in seinem Element. Seine giraffengroße Frau folgte ihm auf Schritt und Tritt, lauschte seinen Ausführungen, und manch einer seiner Arbeiter verkniff sich einen Pfiff, als sie mit ihren gerafften Kleidern an ihm vorüberrauschte. Sie blieb länger als erwartet, länger als erhofft, und als er von einem Entfleischer zur Abbalgerei gerufen wurde, ließ er sie sogar frei herumspazieren zwischen all den schwitzenden und dampfenden Männern und Maschinen. Hin und wieder beobachtete er sie aus demAugenwinkel, wie sie mit diesem oder jenem ein paar kurze Worte, einen freundlichen Satz wechselte. Er ließ sie gewähren, ichbewusst und glücklich erfüllt, und wenn sein inneres Gefühl in Längen gezählt hätte, so wäre er an diesem Tag um Köpfe gewachsen.
    Für einmal in seinem Leben fühlte er sich alles überragend.
    Nur als sie sich etwas zu lange bei den Kadaverbottichen aufhielt, jagte ihm sein siebter Sinn eine dumpfe Ahnung heiß durch die Adern, und er ging rasch zu ihr hin, sie mit ausladenden Schritten dort wegzuführen: »Das ist viel zu gefährlich, meine Liebe. Böse kleine Stäbchen, Bacillus anthracis, lauern hier und können dich befallen. Komm, Liebes, sag, willst du noch eine Lagerhalle sehen?«
    Ihr Interesse an den möglichen Krankheiten und Seuchen, an den verwendeten Chemikalien, ja sogar an den verschiedenen Holz- und Rindengerbstoffen, wie Kastanien- oder Eichenholz, Mimosa oder Sumach, irritierte ihn nur kurz, sein

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