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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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das Licht hält, um seine Echtheit zu prüfen, und ja, es handelte sich um einen veritablen Säugling, einen Jungen mit zwei Händen und zwei Füßen, ordnungsgemäß mit zehn Fingern und zehn Zehen und mit tiefschwarzem Haar. Im Bett lag erschöpft und entgeistert, oder war sie entrüstet?, Costanza. Anat reichte ihr heißes Wasser zu trinken und versuchte sie mit einem Lächeln aufzumuntern. Ähnlich wie ihr Bruder vermochte auch sie, innere Befindlichkeiten, die sich änderten, intuitiv zu erfassen, und sollten sie noch so gut camoufliert sein. Jedoch: wie Schwangerschaft hattesie nicht bemerkt. Sie war von der werdenden Mutter so gut weggeleugnet worden, dass keiner etwas hätte merken können, betete sich Anat vor und hoffte, dass Costanzas Ablehnung bald in Mutterglück umschwingen würde.
    Aber auch in den nächsten Tagen zeigte Costanza keinerlei Begeisterung für das Kind. Ein Junge, Mitglied der Gesellschaft der Verräter. Sie hatte ein Monster geboren.
    Ein Wesen mehr, das an ihrem Körper nuckeln wollte. Sie ertrug es nicht. Schnellstens wurde eine Amme beschafft und eine Depesche an Lazzaro geschickt.
    Dieser ließ Angestellte, Handelspartner und Prostituierte stehen und eilte spornstreichs zu seiner Frau nach Ferrara. Er war Vater geworden. Er wollte bei ihr sein, sie ansehen, sie in seinen Armen halten und sie auf diese unerwiderte Art lieben, wie er sie einzig bei ihr kannte. Sie hatte ihn zum Vater gemacht: »Ewiger, ich danke dir!«
    Bei seiner Ankunft lag der Junge noch immer namenlos in seiner Wiege, Lazzaro sah ihn an und wusste, dass er Elia heißen sollte. Seine Frau blieb dieser Erkenntnis gegenüber unberührt, ihr war es einerlei, mit welchem Namen man dieses Geschöpf rufen wollte. Da sich Lazzaro in seiner momentanen Überwältigung noch mehr Kinder vorstellen konnte, beriet er sich mit dem Rabbi, klaubte noch ein Primo dazu, und so gab man dem Jungen am achten Tag, dem Tage der Brit Mila, seiner Beschneidung, den Namen Elia Primo.
    Lazzaro blieb eine ganze Woche in Ferrara und dann noch eine und noch eine weitere. Er war gewillt, so lange zu bleiben, bis sich seine Frau in die neue Rolle gefunden hätte und wieder etwas Daseinssicherheit verspüren würde.
    Kaum ein Tag verging, da man ihn nicht mit dem Kleinen im Arm durch das Haus, durch die Straßen, im Park entlangspazieren sah. Hin und wieder ließ er sich mit dem Säugling an die Ufer des Pos kutschieren, und einmal fuhrer sogar bis ans adriatische Meer. Eifersüchtig beobachtete er die Amme beim Verrichten ihrer Pflicht und nahm den Jungen umgehend wieder an sich, wenn dieser satt und zum Schlafen oder Gurgeln oder zu lustigem Glucksen bereit war. Er war ganz vernarrt in seinen Elia Primo und überzeugt davon, diesem Kind all die Liebe und Anerkennung zu schenken, ein Leben lang, die ihm selber verwehrt geblieben war, und zwar ganz egal, ob dieser ein Hüne oder ein Zwerg wie er werden würde. Er sollte um seiner selbst willen geliebt sein.
    Lazzaro führte Buch über Elia Primos Tagesablauf, notierte, wie lange er suckelte und wie lange er wach war oder schlief. Er prüfte jeden Tag aufs Neue die Vollständigkeit seiner Gliedmaßen und war über die Wuchtigkeit seines kleinen Geschlechts erstaunt. Die Amme, die seinen Blick bemerkte, klärte ihn ungefragt darüber auf, dass alle Babyjungen zu solchem Stolz Anlass gäben, auch ihre eigenen. Als sich auf Elias Hinterkopf eine kleine Glatze abzeichnete, wusste sich Lazzaro aber doch keinen anderen Rat, als bei der Amme diesbezüglich nachzufragen. Sie versicherte ihm, dass der Haarausfall nur ein vorübergehender war, Elia habe sich halt kahlgelegen in seiner Wiege, mehr nicht.
    Ganz Ferrara war belustigt und im Bilde über diese amüsante Begebenheit; ein kindgroßer Mann in teurem Tuch, der in der einen Hand einen Stock mit einem grünlichen Papageienkopf vor sich her führte und im anderen Arm einen Säugling trug. Endlich wieder einmal etwas so richtig Deftiges, nachdem die feine Gesellschaft seit einiger Zeit um das Vergnügen betrogen wurde, eine luftig herausstaffierte Giraffenfrau an der Seite der unvermählten Anat Israël durch die Straßen schlendern zu sehen.
    Die Giraffenfrau. Sie lag mit zur Wand gedrehtem Kopf im Bett und wollte tagelang nicht aufstehen. Erst das inständigeFlehen und Betteln ihrer kleinen Freundin vermochte sie zu erreichen, weil ihr das Gejammer allmählich an den Nerven zog. Das Kind ignorierte sie weiterhin und tat ganz so, als existiere es nicht.

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