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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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bereiten.
    Eine Freundin ganz für sich im Hause zu haben, das war für Anat Geschenk. Dem Umstand, dass diese so überaus groß war, maß sie keine Bedeutung bei, war sie doch durch ihren Bruder daran gewöhnt, dass das Leben allerlei Wunderlichkeiten hervorbringen konnte.
    Gemeinsam gingen sie in Ferrara auf Gesellschaften, spazierten durch den Park und zwinkerten sich hinter ihren Fächern zu, wenn ihnen der eine oder andere Herr, überrascht den Hut lüpfend, hinterherblickte. Anat fand nichts Unschickliches dabei, sich ohne männliche Begleitung in der Gesellschaft zu bewegen.
    Costanza lebte hier in einem reinen Frauenhaushalt, eine selbständiger als die andere. Anats Mutter war eine ruhige und auf einnehmende Art resolute Frau, von der Anat sicherlich viel vom bestimmenden Temperament geerbt hatte, und auch das Dienstpersonal bestand nur aus Frauen.
    Wo der Vater war, hätte sich Costanza nicht zu fragen getraut. Sie war’s glücklich, für einmal weg vom schändlichen Einfluss männlicher Anmaßung zu sein, und genoss die feinen Zärtlichkeiten, die sich allmählich zwischen ihr und Anat entspannen. Anat lebte eine warme Zugänglichkeit, unterschritt den gebührlichen Abstand zwischen sich und anderen Menschen wie absichtlich und trat so in derenRaum ein. Costanza flirrte es jedes Mal vor den Augen, wenn Anat so nah bei ihr stand und sich ihrer beider Atem in der Luft berührte. Aber es ging noch weiter. Eines Abends, als es draußen fürchterlich donnerte und gewitterte und der Himmel Wassermassen über Ferrara herabregnen ließ, die das Land, so behauptete jedenfalls Anat, noch nie gesehen hatte und die sie alle »einfach hinwegschwemmen, weit weit fort und in ein anderes Land und Leben spülen« würden, lüpfte Costanza wie natürlich ihre Decke und ließ Anat zu sich ins Bett schlüpfen. Anats duftenden schwarzhaarigen Kopf zwischen ihren Brüsten zu spüren erlaubte Costanza, komplett neue Gefühle kennenzulernen. Bald brauchten sie den Regen und die aktuelle Wetterlage nicht mehr, um zueinander in eine Umarmung zu finden, bald wurden sie unzertrennlich und wie eins. Bei ihren monatlichen Beschwerden wärmte Costanza der Freundin den Bauch, bei ihren täglichen Klavierstunden, für die Anat eine schlesische Lehrerin mit jungenhaftem Haar kommen ließ, spielte sie bald die Begleitung, und vierhändig flogen sie über die Tasten und lachten, bis ihnen die Muskeln vom vielen Lachen weh taten.
    Anat schrieb ihrem Bruder heimlich Briefchen mit knappen Berichten über die Befindlichkeit seiner Frau, bestätigte, dass sie gesund aß und auch an Gewicht zugelegt hatte, dass ihre Haut wieder den rosigen Teint angenommen habe, dass sie gemeinsam promenierten und ab und zu an einem Ball teilnahmen, sich generell gut verstehen würden, unterließ es aber, zu genau zu werden, und behielt ihr kostbares Geheimnis für sich. Von seiner Frau selbst erhielt Lazzaro nie Kunde, was ihm, wenn er daran dachte, fast das Herz abdrückte. Aber wenigstens, so tröstete er sich, ist sie nicht mehr allein und in sich verschlossen. Wenigstens hat sie jemanden, zu dem sie spricht.
     
    Eines Morgens traf Anat ihre Freundin nicht wie gewohnt beim Frühstück an. Sie wartete eine Weile und trommelte mit ihren eleganten Fingern auf den Tisch, übte eine gewagte Partitur, dann schritt sie doch, von Neugier und Ungeduld getrieben, die Treppen hinauf und ging, ohne anzuklopfen, in Costanzas Zimmer. Was sie da sah, verschlug ihr fast den Atem. Das ganze Bett, so schien es, voller Blut, alles rot verschmiert und schlierige Streifen an Costanzas Händen, Armen, Beinen, die Haare klebten ihr verschwitzt über der Stirn, und das Gesicht war grotesk karikiert und in einem grellen, großen lautlosen Schrei gefangen, dem sie, kaum dass sie ihrer Freundin im Türrahmen ansichtig wurde, freie Bahn ließ und ihn schrie wie ein Ochse auf der Schlachtbank. Blitzartig überschlug Anat in ihrem Kopf die Dauer von Costanzas Hiersein und kam zum einzig möglichen Schluss, dass diese schwanger bei ihr angekommen sein musste. Schwanger, mit einem Kind unter dem Herzen, das nun nirgendwo anders hinwollte als hinaus. Schnell rief sie ihre Mutter zu Hilfe, und diese schickte wiederum nach dem Arzt. Gemeinsam bewerkstelligten die drei entschlossenen Frauen die für alle überraschende Geburt eines neuen Menschen. Als der Arzt eintraf, konnte er die korrekte Abtrennung der Nabelschnur nur bestätigen. Er besichtigte das Kind wie einen Diamanten, den man gegen

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