Die Ruhelosen
Auch um Lazzaro machte sie einen großen Bogen. Sie ertrug es nicht, seine kurze Gestalt zu sehen, seinen gebrochenen Blick, der nach dem ihren haschte. Oder: seine ungespielte Begeisterung, wann immer er mit Elia Primo zusammen war. Primo. Als ob da noch mehr kommen sollten. Als ob sie nicht mehr wäre als bloße Gebärmaschine, die man besteigen, schwängern und benutzen konnte. Die das geforderte Maß an Material hervorbringen musste, ihren Auftrag stillschweigend zu erledigen hätte, grad wie seine Nasszurichter, Kämmer und Entfleischer. Seine Giftmischer, ach!
Da war sie, Costanza, noch keine zwanzig Jahre junge Tochter einer Mutter, die sie nie wirklich gekannt hatte, und eines Vaters, der sie eines eitlen Handels wegen verschachert hatte, nun selber Mutter eines Sohnes, den sie nie gewollt hatte, und Gemahlin eines Mannes, den sie nicht lieben konnte. Wo sollte sie nur hin?
Hier konnte sie nicht bleiben. Die Zeit des Unbeschwertseins in diesem Hause, das ihr nicht gehörte, in dem sie sich aber doch geborgen gefühlt hatte, war unwiderruflich vorbei. Seit Lazzaro ihr hinter jeder Ecke, in jedem Winkel auflauern konnte, waren ihre Tage der sorglosen Ruhe gezählt. Und Anat wurde auch immer lästiger in ihrer Anhänglichkeit, ihrem Drängen, so, als wollte auch sie irgendetwas aus ihr herauszerren, was sie zu geben nicht bereit war.
Anat litt ungehört. Es brach ihr fast das Herz, ihre Freundin so verstört zu sehen, und sie bekam nun eine Ahnung von den Jahren des Martyriums, die ihr Bruder zu erdulden gehabt hatte. Sie war festen Willens für ihn und für sich und schließlich auch für das Kind, die alte, die lustige, lebendige Costanza aus dieser Larve, dieser leeren Hülle herauszuholen,mit allen Mitteln. Sie versuchte es mit Schmeicheleien, mit Scherzen und mit Charme. Sie versuchte es mit erquengelten gemeinsamen Spaziergängen, bei denen sie unerschöpflich um Gesprächsstoff rang und alles dafür tat, dass Costanza den Mund öffnete, denn: »Einmal, ein einziges Mal am Tag nur, Costanza, will ich deine liebe Stimme hören!«
Sie versuchte es mit einem Duett auf dem Flügel, das sie sie für eine kleine Gesellschaft zu spielen überlistet hatte, und sie versuchte es mit verstohlenen Berührungen. Doch ihre Freundin von einst blieb kalt. Sie wusste sich keinen Rat. Als der Arzt die lehrbuchgemäße Entwicklung des Säuglings überprüfen kam – insgeheim hatte er ja gehofft, doch noch irgendeine Sonderbarkeit an ihm zu entdecken, die ihm zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, vielleicht zu einem Aufsatz oder zwei in einer renommierten Zeitschrift verholfen hätte –, schaffte es Costanza, einen Moment mit diesem allein zu haben, aber da war nichts, was er ihr hätte bieten können, und auf die überstürzten Fragen dieser jungen Frau, die ihn wie ein Schwall und, wie er fand, auch ziemlich ungehörig und unaufgeklärt überfluteten, es war ja nichts Besonderes, dass eine Mutter bei ihrem Erstgeborenen eine gewisse Abneigung empfand, das kam immer mal wieder und auch in den besten Kreisen vor, dazu hatte man Ammen, bitte sehr, auf diese dummen krämerischen und haltlosen Fragen also hatte er außer ein paar wichtigtuerisch auf Lateinisch hingepredigten Begriffen nichts zu sagen. Und wie um einem ungehörten Argument Nachdruck zu verleihen, verlor sich jede Farbe aus Costanzas Antlitz. Sie wurde aschfahl.
So trödelten die Tage dahin, und Lazzaro wusste, dass er sich allmählich wieder um seine Geschäfte in Livorno zu kümmern hätte. Es war ja nicht schlimm, bei genauerer Betrachtung, es war doch nur einfach alles beim Alten. Und wenn man ausreichend ehrlich gegen sich selbst seinwollte, so musste man auch zugeben, dass es für Lazzaro nie anders gewesen war. Der Haushalt lief wie geschmiert, Costanza konnte, wenn sie das vorzog, gut noch eine Weile trotz ihrer zurückgezogenen, kummervollen Art hier bleiben. Er hatte sie die letzten Tage über ohnehin kaum mehr zu Gesicht bekommen, sie verbarrikadierte sich geradezu in ihrem Gemach und erklärte sich mit Unwohlsein. Einzig Elia Primo würde er vermissen, aber etwas zu vermissen war Lazzaro gewohnt. Er besprach sich mit seiner Mutter. Sie hatte nichts dagegen einzuwenden, dass Costanza zusammen mit dem Kind auf unbestimmte Zeit bei ihnen bliebe. Sie störte ja nicht im Hause, war kaum mehr zu bemerken als ein Spuk, und außer dass sich der Verbrauch an Stearinkerzen und Zündhölzern etwas über die Maßen entwickelt hatte, auf den sie sich
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