Die Ruhelosen
in die Hand nahm und die Geschicke der Familie in eine neue Richtung lenkte.
Also holte er beim Stapel mit dem Feuerholz Serafino-Pferd hervor und machte sich auf den Weg.
Zuerst sprang er mit Serafino-Pferd in großem Schwung über die Trockenmauer, die den Schafshort umfriedete, dann führte sein Marsch das muntere Bächlein entlang, zuerst talwärts, später, wenn er genügend weit weg von seinem Zuhause und den Häusern und Hütten anderer Bekannter war, würde er sich westwärts wenden und bald darauf wie geplant die nördliche Richtung einschlagen. Bis zum Einbruch der Nacht und damit zur unweigerlichen Entdeckung seines Auszugs, hätte er so genügend Land zwischen sich und die Seinen gebracht, dass sie zwar bestimmt gram über sein Verschwinden wären, aber ihn einzuholen und zu finden ein Ding der Aussichtslosigkeit würde. Und bereits im nächsten Sommer wollte er ihnen Geschenke schicken, Pakete voller Kleider und Schuhe, und eingebunden ein Brieflein mit der Antwort, auf die sie alle so sehr warteten, ohne es überhaupt gewusst zu haben, nämlich: Kommt her, es stimmt, das Leben besteht aus Zucker und Melone hier. Der Arbeit ist genug, Vater. Und dann, spätestens nach einem weiteren Jahr, wären sie alle wieder vereint im hohen stolzen Norden, und der Vater würde ihm anerkennend den Kopf tätscheln und sagen: Gut, dass du vorausgegangen bist, Junge, wir hätten das ohne dich und deinen Mut wohl nie geschafft. Und schließlichwürden sie alle gemeinsam das Abendgebet sprechen und friedlich schlafen, mit angenehm gefüllten Bäuchen, jeder in einem eigenen Bett und mit der sicheren Gewissheit, das Richtige getan und damit für die Zukunft ausgesorgt zu haben. Er war der Retter, der seine Familie von der alten in die neue Zeit bringen sollte, der Ritter, der vorausging, diese Schlacht für sie zu schlagen.
Die Sonne schien außergewöhnlich heiß an diesem Tag, als ob ihm der Herr im Himmel selbst einen letzten Abschiedsgruß schicken und ihn mit einem gleißend hellen Tag einen guten Weg bereiten wollte.
Das Bündel an einen Stock geschnürt, das Nachziehpferdchen fest im Arm, setzte der kleine Serafino einen Fuß vor den anderen und war bar jeglicher böser Gedanken, als er plötzlich vom Tal herauf eine Prozession grauer Gestalten auf sich zukommen sah. Er stutzte und rieb sich die Augen. Das Grüppchen Menschen schien irgendwie unförmig, unnatürlich auch in seinem Gang, eine Fortbewegungsart wie von einer Raupe oder einem Tausendfüßler.
Serafino strengte sich an und wollte einen Moment warten, bis er eine etwas bessere Sicht auf diese Figuren hätte und erkennen könnte, was sie da taten. Er stellte sich in den Schatten eines Kastanienbaumes und schaute. Was sich da in wogendem Rhythmus und wie mit Verzögerung auf ihn zubewegte, waren sechs Männer in Arbeitskleidung, die irgendetwas geschultert hatten. Es sah ganz so aus, als wären sie auf dem Weg zu ihm nach Hause, aber warum und wozu? Sein Vater wäre ja doch nicht anzutreffen, sondern bei der Arbeit in der Fabrik. Und plötzlich erkannte er Natale und di Pietro, die beiden vorderen Männer, wie sie ernste Gesichter machten und starr zu Boden sahen bei jedem Schritt, der überdies unglaublich mühevoll erschien und beinahe unbezwingbar, und dann erkannte er auch, dass das, was die sechs Männer da geschultert hatten, einMensch war, ein großer, ausgewachsener Mensch, und jäh durchfuhr ihn ein unheimliches Wissen, dass etwas ganz Schlimmes passiert sein musste. Blitzschnell drehte er um und rannte dem Zug voraus, zurück und seinem Elternhaus entgegen.
Als ob sie es geahnt hätte, dass da etwas im Anmarsch war und unweigerlich auf sie zuhielt, auf ihr Zuhause, ihr Heim zukam wie eine Sturmböe, die man von weit her über das Meer auf das Ufer zusteuern sah und der man nicht entkommen konnte, ganz egal, wie schnell man rannte – und Giuseppinas Beine wären ohnedies nie schnell genug, einem ausgewachsenen Sturm zu entkommen –, blieb sie stehen vor dem Häuschen, das sie mit ihrer gesunden blonden Männerschar bewohnte, und hielt sich mit beiden Händen an der Schürze fest, dieser Schürze, die sie noch aus Sizilien mitgebracht hatte, diese Schürze, in der sie Jahr für Jahr Polpette mit Polenta gekocht hatte, diese Festtagsschürze, Alltagsschürze, die Vitale so an ihr liebte, wie er alles an ihr liebte, und sie sah überdies ihren Jungen, den Serafino, ihren Engel mit dem Pferdchen und einem Stock mit einem Säcklein dran, was
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