Die Ruhelosen
auf irgendeinem Schloss oder ebengeschossig an der Müller-Paulin-Straße in seinem eigenen »Fodrász – Frisier-, Barbier- und Haarkunst«-Geschäft.
Immer wieder berührte es František warm, wenn er seine Frau in stillen Stunden mit dem gemeinsamen Sohn im Arm betrachtete. Wie diese versonnen und erfüllt und ohne Verlangen zufrieden war, voll inneren Glücks leuchtete. Alžbeta war für František alles: Mutter, Vater, Geliebte, Frau – wahre Gefährtin auf dem Weg. Sie hatte zu kochen gelernt, Sauerkirschsuppe mit Zimt und Schlag und Grammelpogatscherl, Grießnockerln mit Bohnensuppe, Sauerkrautauflauf, Lunge mit Semmelknödeln, Paprikahuhn, Ödenburger Nudelauflauf, Vanillekipferln und Husarenkuss, Bohnentorte und Hobelspan, sie besorgte zusammen mit einem Mädchen den Haushalt, schrieb für František die Fakturen und überwachte die Finanzen und war dennoch ganz selbstverständlich Adel geblieben auf die natürliche Art, die er an ihr seit jeher bewundert hatte.
Im hinteren Hof pflanzte sie zusammen mit dem Mädchen an, verschiedenes Stiel- und Wurzelgemüse sowie Spargelerbse, Erdbirne, süße Rahne, und bereits im ersten Spätsommer, den sie im Haus an der Müller-Paulin-Straßeverbrachten, überraschte sie der struppige Baum im Garten mit einem üppigen Behang reifer Renekloden. Das ganze Leben duftete, und František und seine Alžbeta standen mittendrin!
Obgleich. Anfänglich war sich František nicht so sicher gewesen, ob die Entscheidung, in das Haus in der Müller-Paulin-Straße einzuziehen, die richtige war. Lag es nicht zu nah an der ehemaligen Judengasse? Lediglich durch das Ordenshaus der Ursulinerinnen, den Ursuliner Platz und, schräg gegenüberliegend, durch das Arkadenhaus davon getrennt? Zweimal umfallen, und man würde sich wieder dort vorfinden, von wo aus man geflüchtet war?
»Es war ja keine Flucht, Franta. Es war der einzig richtige Schritt, den es zu unternehmen galt.«
Dennoch war es fast ein bisschen so, als ob sich František Schön vor den Juden Ödenburgs verdrückte, sich verschämt aus deren Gesellschaft schlich, wenn er sich am Hauptplatz unversehens zwischen ihnen wiederfand. Die meisten Juden waren zwar irgendwann im 16. Jahrhundert von hier wie andernorts vertrieben worden, weil, wie man munkelte, sie wohl die schönsten Häuser besessen hätten, aber mittlerweile waren viele zurückgekehrt oder neu dazugestoßen und sesshaft geworden. Immer wenn František ihre schwarzen Hüte, die federnden Locken, die weißen Gesichter sah, drehte sich etwas in ihm um, so dass er glaubte, er stünde kopf. Und er reagierte darauf mit der üblichen Intoleranz aller Konvertierten, indem er sich innerlich zuredete, er sei etwas Besseres, ja, er habe vielleicht, wirklich, nein, ganz bestimmt sogar, den Ruf des Herrn empfangen und wisse nun, wie sich ein nützliches und gottgefälliges Mitglied der Gesellschaft zu benehmen habe. Ach. Weshalb mussten sie auch so anders sein? Es ging ihm nicht in den Kopf hinein. Und auch hierin beobachtete er seine Frau, staunte, staunte.
Alžbeta begegnete den Menschen entspannt. Sie prallte an keiner Oberfläche ab, sie tauchte nach dem Wesentlichen. Weil ihm das selber nicht zur Zufriedenheit gelang und er an den Grenzen seiner Großmütigkeit angelangt war, erledigte er diese eine Sache halt doch auf seine Art. Das erste heilige Christfest feierte er mit Pomp und Glamour, ein unmissverständlich großer Baum, der bis an die Zimmerdecke reichte, dicht mit Flitter und funkelnden Kristallen geschmückt, mit handgearbeitetem Perlenschmuck, Kombinationen aus Glasseide und Oblaten, Püppchen aus Biskuit-Porzellan und bemalter Holzware aus dem Erzgebirge. Ferner bestand er auf dem Absingen sämtlicher heiliger Lieder, die er zusammenbrachte, sowie auf dem Besuch der Mitternachtsmette mitsamt Frau und Säugling, tja, und damit war diese Sache dann für ihn besiegelt.
František konnte sich wichtigeren Dingen zuwenden. Dem Katalogisieren der gesellschaftlichen Strukturen Ödenburgs zum Beispiel, dem Wer-mit-wem-Ratespiel, dem unerlässlichen Feine-Leute-Tratsch, über den gerade er als Friseur unbedingt im Bilde sein musste.
So also hatte er in Ödenburg Tritt gefasst, barbierte, frisierte, stellte Haararbeiten her, hörte den Damen bei ihrem Gezwitscher zu und hauchte der einen oder anderen auf ihren Wunsch auch schon mal eine Locke aus der Stirn. Aber nie hätte er irgendetwas unternommen, was seiner geliebten Alžbeta entgegengewirkt hätte. Ihr hatte
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