Die Ruhelosen
Gedanken dieser gemeinsame Ausflug nach Aquileia bei Abelarda ausgelöst hatte. Liebe, Hass, da überstürzte sich ja alles in diesem hübschen jungen Kopf und wirbelte wild durcheinander wie eine schlecht verzurrte Schiffsladung bei Bora-Wind, das war doch zu groß, zu viel für ein junges Mädchen wie sie. Und hoffentlich hörte ihnen niemand zu, das Pärchen links von ihnen saß doch recht nah, aber sie ließ sich ja nicht bremsen, sie wäre ja nur noch lauter geworden, hätte er etwas einzuwenden gewagt, also lieber schweigen, nicken, zuhören. Hoffen. Irgendwie hoffen, dass dies zu einem guten Ende kam.
Endlich erinnerte sich der Kellner an die Bestellung und brachte kommentarlos die Brioches, mit Puderzucker reichlich überstäubt, an ihren Tisch. Ohne wirklich hungrig zu sein, biss Elia Primo in sein Küchlein, es wäre ohnehin verrückt gewesen, jetzt heimgehen zu wollen, er würde schon noch eine Weile hierbleiben und sich Abelardas Verstiegenheiten anhören müssen, bis er sie wieder zurück in ihr Elternhaus begleiten könnte. Ihm war unwohl. Er spürte eine dünne Schnur Schweiß sein Rückgrat entlang nach unten rinnen und in den Spalt seiner Pobacken hinein. Er rutschte auf dem Stuhl hin und her und versuchte sich mit Gedanken an bevorstehende Geschäfte abzulenken. In seinem Mund klebte, wie es schien, Sand, und überhaupt war sein ganzer Körper wie durcheinander, wenn er dieser Abelarda gegenübersaß. Jedes Mal, wenn sein Blick ihre Augen streifte, warf sie etwas mehr Kleister hinein, wie eine Spinne, die ihr Netz webt mit diesen dünnen, fast unsichtbaren Fäden voller Klebstoff, denen keines ihrer Opfer je entkommt; was war das bloß für eine Manier dieser jungen Frau, wohin ist das Kind entschwunden mit dem weißenTaschentuch, wer war das eigentlich, der ihm da gegenübersaß, wie kam das, er mit dieser jungen Dame einen ganzen Tag lang schon alleine unterwegs?
Noch immer instrumentierten Regen und Wind im Takt und schmetterten Trommelwirbel über die Dächer des abendlichen Triest. Und in Elia Primo dröhnten nicht nur diese despotischen äolischen Klänge, nein, ganze Partituren spannten Notenblätter vom Licht- zum Schattenreich, und in seinem Kopf stämpfelte ein kleiner herrischer Dirigent und trieb ihm damit den Schweiß aus allen Poren.
Und dann startete sie wieder mit dieser albernen Beweisführung: »Es musste einfach so sein! Wenn nicht mit diesem wunderbaren Kamelhaarmantel, dann spätestens hier hätten sich unsere Wege gekreuzt, Elia. Mein Vater führt mich oft hierher aus, weißt du, ein Wunder eigentlich, dass wir uns nicht schon früher begegnet sind. Es musste einfach so sein«, konstatierte sie einmal mehr abschließend.
Elia Primo war es zwar bereits gewohnt, Abelardas wuchernden Phantasien zuzuhören, aber noch immer bestürzte sie ihn mit ihrer bestimmenden, selbstverliebten Art. Immer wieder fand sie neue Parallelen, neue Wegkreuzungen, an denen sie sich ganz bestimmt und zweifelsohne begegnet wären, hätte sie das Schicksal nicht schon damals, als er seine Mäntel ins Haus Polacco brachte, zusammengeführt. Sei es beim Matze-Bäcker Coën, dessen Mehlspeise sie beide anbeteten, oder sei es auf einem Spaziergang durch das Karstgelände, das so archaisch, wie Abelarda es bezeichnete, so gefährlich abschüssig, wie Elia Primo das erste Mal noch entgegengehalten hatte, über dem Meer trutzte: Immer, immer hätte es irgendwo passieren können, passieren müssen, von dieser Wahrheit war die sechzehnjährige Abelarda felsenfest überzeugt, und kein Marmorarbeiter aus Carrara hätte diesen Glauben je zu sprengen vermocht. Wenn er es genau bedachte, hatte sie ihm regelrecht nachgestellt.Eine Unverschämtheit eigentlich, die er ihr aber leicht verzeihen konnte, sie war ja noch ein halbes Kind. Aber war sie das auch heute Abend? Der Schweiß zog unaufhaltsam seine Bahnen, Elia Primo wusste kaum mehr, wie sitzen. Irgendwie schmeichelte ihm diese kindlich unverhohlene Verehrung auch, richtete ihn im Innern auf und machte ihn noch größer, als er ohnehin schon war. Er rückte sich auf dem Stuhl zurecht. Und hatte ihre Lebensart nicht auch etwas für sich? Sie hatte einfach immer mehr an die Chancen und Möglichkeiten gedacht, als dass sie Risiken und Gefahren interessierten.
»Aber so gut, wie wir uns verstehen, dieses Gefühl haben sie sicher nicht gekannt, diese Menschen vorheriger Zeit.«
Etwas verwirrt lächelte Elia Primo zurück. »Äh, wen meinst du?« Abelardas
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