Die Ruhelosen
manche Madame in Aufruhr.
Und als die beiden zwölf Tage später in Ödenburg einen Pfarrer fanden, der endlich dazu bereit war, sie zu trauen, natürlich nicht ohne dass František Schön zum katholischen Glauben konvertiert war, zumindest die wichtigsten Schritte dafür unternommen hatte, was er auch gar nicht bedauerte, die Welt war einfach größer so, bemaß sich Františeks zukünftige Kundschaft, die er noch gar nicht kannte, bereits auf über zwanzig ungeduldig wartende Damen höherer Herkunft.
Am 11. November 1860 brachte Alžbeta den gesunden Ferenc Dušan Schön zur Welt, einen kahlköpfigen Jungenvon neunundvierzig Zentimetern Körperlänge und annähernd dreitausend Gramm Gewicht.
Und was machte Alžbetas Gesicht, als sie sich das erste Mal über den Knaben beugte?
Es lächelte.
Macrolepidoptera csökei
irgendwo an einem nicht näher bezeichneten Ort im Russischen Reich, 1860
Dušan Csöke, unvernünftiger und unfassliche fünfundsiebzig Jahre alter Mann, schlohhaariger Narr mit Gamaschen an den hellen Hosen und einem leinenen Cutaway, lebte in einer anderen Welt. Konkret: Er war ordentlich in der Bredouille.
Sein Anblick muss sich äußerst wunderlich ausgenommen haben, aufgestützt auf den Stiel seines Schmetterlingsnetzes, so bis zu beiden Oberschenkeln versunken in einer Sumpfmoorwiese und umweht von den fauligen Schwaden der blassen Blumen, deren Geruch ihn schon seit Stunden in der Nase plagte. Irgendwo zwischen dem letzten Gebirge und dem vorletzten Tal hatte er wohl die Orientierung und vielleicht auch ein bisschen seinen Verstand verloren, dafür war er siegesgewiss einem flatterhaften Gaukler hinterhergestolpert, einem Riesenexemplar von Schmetterling, das er so in der Wissenschaft noch nirgends beschrieben gesehen hatte.
Allein dessen Flugverhalten war wahrhaft erstaunlich, ein schneller Flatterschlag, der ihn über einer Blüte seiner Wahl wie in der Luft frei schweben ließ, verblüffend verblüffend, und sein Mimikry war schlichtweg sensationell! Tieraugen von einer farblichen Intensität, wie er sie sein Leben nicht zu Gesicht bekommen hatte, und auf der Flügelunterseite nicht etwa einfach die gewöhnliche Welkes-Laub-Tarnung, sondern ein ganz eigensinniges Mosaik von blauen, grünen und braunen Schimmern, gewaltig gewaltig! Dušan Csöke war voller Begeisterung über seine Neuentdeckung, die inden einschlägigen Kreisen der Lepidopteraforschung sicher noch gehörig Furore machen würde, aber all diese Begeisterung nützte ihm nichts, er kam auch mit ausgestreckten Armen nicht an das atemberaubende Ziel seines Trachtens heran, das sich nur ein paar wenige neckische Schritte von ihm entfernt auf einer morschen Borke die Flügel sonnte.
Tja, da war er nun, Graf Dušan Csöke, übergeschnappt und überglücklich über seinen Fund und kam mit keinem seiner beiden Beine aus dem Bruch heraus.
Teil 2
Nestlinge. 1860–1899
Die Schlüpflinge selbst unterteilt man in zwei Gruppen: Nestflüchter und Nesthocker. Nestflüchter sind vom ersten Tag an imstande, die Füße zu gebrauchen.
wie sich Dinge lösen
Ödenburg, 1860/1861
Und wie er sich da getäuscht hatte, ha, er tippte sich mit dem Handschuh an die Stirn, dass es ein Geräusch wie flapsiger Flügelschlag machte. Wie hatte er nur so naiv sein können, sich einer solchen Geisteslahmheit hingeben, so träge, so sehr ans eigene Versagen glauben können und so wenig ans Gelingen! Dabei war seine Frau unwiderlegbar vernünftig gewesen in ihrer Lebensungeduld, ja, einzig ihr und ihrer unkonventionellen Kühnheit war es zu verdanken, dass sie nun eine Existenz hatten, eine eigene, ein gesellschaftliches Leben, das sich sehen lassen konnte, das mithalten konnte und das von Bestand sein würde; auf sie konnte František bauen.
Als er ihr das eines Abends im trauten Licht der Gaslaternen auf dem Weg zu ihrem Haus durch die Gassen von Ödenburg – der Laternenanzünder immer zwei Schritte ihnen voraus, sie machten sich ein Scherzlein mit ihm und kicherten wie kleine Kinder – ins Ohr flüsterte, lachte Alžbeta ihr männliches Lachen, das aus der Tiefe ihrer Brust emporschallte, und sie erwiderte: »Du weißt ja nicht, wie sehr ich mich geschämt habe für mein leeres, leeres Leben, Franta!«
Er wusste es.
Vielleicht glückte es ihm deshalb, seiner Frau den Vortritt zu lassen, sie wirken zu lassen und die kleine Dosis Eifersucht mit dem Seim der Dankbarkeit so weit zu verwässern, dass in seinem Blut nie genügend Groll aufquoll, um
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