Die Ruhelosen
ein Rätsel, aber er spürte in sich eine Liebe, eine Wärme aufsteigen, wie einen Papierlampion, den die Hitze in die Höhe treibt. Noch einmal neigte auch er seinen Kopf dem Fenster entgegen, und noch einmal sah auch er hoch über sich zwei Wellen von Hunderten und Aberhunderten Vögeln schwappen. So viele Individuen unterwegs, es war die Zeit der Zugvögel, und darunter waren nun auch er und sie, seine mannsgescheite Alžbeta, die herzbetrunken vor sich hin lächelte.
Die vier der Kutsche vorgespannten Kladruber trabten mit der Beständigkeit eines Uhrwerks. Ihre schwarzen Rammsköpfe waren von dicken Adern durchzogen, und um die großen Kugelaugen glänzten sie vor Schweiß. Der Kutscher hatte ihnen beim letzten Halt Decken übergelegt, und sie trabten ohne Unterlass, als gelte es selbst für sie, untadelige Entschlossenheit zu beweisen. Ihre kraftstrotzenden Gliedmaßen und die elastischen Muskelpakete federten unter dem makellosen schwarzen Fell, und ihre Hufe traten fest und sicher auf mit jedem Schritt, den sie, gut einstudiert, im Gleichtakt auf dem unebenen Boden aufsetzten. Die Gräfin hatte extra angeordnet, die Prachtstiere vorzuspannen, Prestigegläubigkeit und die Furcht, ihr Ansehen könnte sonst noch weiteren Schaden nehmen, verleiteten sie zu dieser kleinen Maßlosigkeit. Ihre Tochter hatte zu verschwinden zusammen mit diesem schmierigen Angestellten, aber es brauchte ja nicht gleich alle Welt zu wissen, dass sie ein illegitimes Kind in sich trug und inSchande vom Schlosse verbannt worden war. Eine jährliche Apanage sollte fürs Erste das Nötigste sichern.
Als es eindunkelte, war Alžbeta aus ihrer Versunkenheit aufgewacht und redete in munterem Plauderton auf František ein, malte ihnen beiden ein Leben aus voll der herrlichsten Farben und kühnsten Mischungen. Sie rührte die Farben immer wieder neu und mutig an, diese Verwegenheit musste sie von ihrem Vater mit ins Blut bekommen haben.
František notierte in ihrem Gesicht rote Flecken, sie war ganz außer sich vor lauter Draufgängertum. Dann fragte sie ihn wieder nach der Ortschaft, und wie es dort aussehe, wollte ihm jedes Detail, dessen er sich noch erinnerte, entlocken.
Sie waren unterwegs nach Ödenburg, einer aufstrebenden freundlichen Stadt, in der bestimmt Bedarf an Haarteilmachern und geschickten Friseuren war. Dahin, wo Deutsch und Ungarisch gesprochen wurde.
Sie klatschte ihrem František mit der flachen Hand flapsig auf den Schenkel, ha!, sie hatte sich alles genau ausgedacht, sie würde als Französisch-Sprachlehrerin in besseren Häusern arbeiten und die höheren Töchter bei Bedarf auch in Benimm unterrichten. Aufgrund ihrer eigenen Dreistigkeit wusste sie ja nur zu genau, worauf es beim modernen Comment ankam.
Sie lächelte im Widerschein des aufgehenden Mondes so verträumt und so verzückt vor sich hin, dass es František ein Vergnügen war, ihren Anblick in sich aufzunehmen.
Alžbetas Herz bebte voller Abenteuer- und Entdeckerlust, sie war ganz durchwoben von Wiss- und Lernbegier, spürte, dass ihr Leben unheimlich in Fahrt kam, und staunte ob des Tempos, bis sie unvermittelt leise aufschrie und František mit Entsetzen beichtete: »Ich kann ja gar nicht kochen!« Dann lachte sie laut los, grad so wie ein Mann,dachte er wieder gerührt und voller Anerkennung. »Außer Halušky hab ich nie etwas gelernt, František!«
»Dann essen wir eben Halušky, bis uns der Käse zu den Ohren herauskommt.« František lachte endlich ehrlich zurück, und gemeinsam hielten sie sich an den Händen und lächelten einander Mut zu. Alles würde gut werden, alles würde gut sein. Ein langes wunderschönes Leben lag vor ihnen ausgebreitet, sie brauchten es nur wahr zu machen und zueinander immer wahr zu sein. Und obwohl weder er noch sie wusste, was die kommenden Tage und Wochen und Monate und Jahre noch alles bringen und für sie bereithalten würden, so waren sie doch der felsenfesten Überzeugung, dass es nichts als Gutes sein konnte, nichts als Außergewöhnliches und nichts als atemberaubend Neues.
Die zwei waren zwar erst seit ein paar Tagen von Kassa weg, aber ihr Ruf war ihnen vorausgeeilt, vorausgeflogen wie flügge gewordene Vögelchen, und über die frohe Botschaft, dass ein virtuoser Posticheur mit seiner durchgebrannten blaublütigen Geliebten gerade jetzt unterwegs war, in neuen Gegenden den Adelsdamen Blumen in die Haare und, wer weiß, vielleicht den einen oder anderen Floh ins Ohr zu setzen, geriet so manche Gräfin, so
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