Die Ruhelosen
ihr Zusammenleben ernstlich zu gefährden.
Jetzt war ihrer beider Leben voll. Sie besaßen ein zweistöckiges Haus eingangs der Müller-Paulin-Straße, das Alžbeta kontinuierlich ausgestattet hatte. Damals, als sie eingezogen waren, nach unseligen Wochen des wenig standesgemäßen Hausens in einem einfachen Gasthof, der weit vor der Grabenrunde und noch vor der Außenmauer der Stadt lag, war das Objekt kaum ansehnlich gewesen. Ein wasserfleckiges stumpffarbenes Gebäude mit langen Rissen im Holzboden. Aber Alžbeta erwies sich als geschickte Handwerkerin, hantierte mit Teer und anderen Kleb-, Farb- und Füllstoffen herum, und ja, er traute es sich nirgends laut zu sagen, sie war der Mann im Hause, und sie bestimmte mit sicherem Kalkül und gesunder Weitsicht, welche Schritte die nächsten waren.
Sie wohnten noch in kahlen Wänden, da nahm sie schon Kontakt zur feinen Gesellschaft auf, bezirzte die Männer der Oberschicht mit hochgeistiger Konversation und freundete sich mit deren Frauen an dank ihres weiten gefühlvollen Herzens. Rasch hatte sie Anstellung als Sprachlehrerin gefunden, und ihr Kundenkreis vergrößerte sich ständig. František sah, tolerierte und staunte. Als die Damen und Herren Alžbetas Geschick in gestalterischen Belangen entdeckten, wurde sie der einen oder anderen Familie sogar zur Dekorationsberaterin. Ab und zu fertigte František nun auf ihr Geheiß kleine Schaukasten an, Musterzimmer, fügsam ausstaffiert mit lockenden Stofftüchlein und possierlichen Holzmöbelchen. Seine Skizzen, nach ihrem Plan, fanden mehr als nur einmal Verwendung und wurden wegen ihrer verwegenen Herrlichkeit auch von den ausführenden Schreinern beneidet.
Mit der Zeit hatte Alžbeta ihr eigenes Heim von oben bis unten geschmackvoll eingerichtet mit roten Samtbordüren und goldenen Rahmen, hatte die gipswelligen Decken und jede fleckige Wand mit Weißkalk und Mineralfarbe sachgemäßverputzt, und die beiden konnten selbst zu Gesellschaften laden. Und sie taten es mit Verstand.
Jedes Mal, wenn eine feine Dame Alžbeta hinter vorgehaltener Hand und wider besseres Wissen nach ihrem Friseur fragte, von dem man doch schon so viel gehört hatte, nicht wahr – berechnenderweise trug Alžbeta zu diesen Anlässen ihre Haarpracht wie auf dem Präsentiertablett, immer scharf an den Grenzen der Ziemlichkeit, manchmal um Haaresbreite über den Rand hinauslockend, dann zum Beispiel, wenn ihr František eine verspielte Tolle in eine Ondulationswelle geknüpft hatte –, ging die Rechnung auf. Alžbeta rollte die Augen und flüsterte: »Es handelt sich bei Bewusstem um meinen Mann. Ehemaliger Hofposticheur zu Kassa.«
»Also doch!«, konstatierten die anderen dann in vorfreudiger Erregtheit über dieses bisschen Gerücht, das sich als wahr herausgestellt hatte. Und noch bevor sie wieder klar denken konnten, hatte Alžbeta ein kleines zusammengebundenes Heft mit losen Blättern aus ihrem Täschchen gezogen und zeigte Frisuren auf Bestellung, während sich František dezent im Hintergrund hielt.
Gemeinsam hatten sie nächtelang über Namen für jede Kreation gebrütet:
Marie Antoinette, Noblesse oblige, Katharina von Russland, Pleinair, Rokoko-Rosette, Erotica, Imperium Femininum, Stelle e Mare, Naturelle-Belle
. Alžbeta überzeugte, ohne Luft zu holen: »… auch als Zweitfrisur ist eine Vollperücke nicht zu verachten, man hat ja so viel zu tun als Frau und kann sich nicht jeden Tag neu auffrisieren, nicht wahr? Und für die Männer, nun, die Männer, die blühen nach einer Haartrachtbehandlung bei František Schön zu regelrechten, wie soll man sagen, Göttern, vielleicht?, auf. Eine gestaltete Kopf-und-Bartfrisur bewirkt bei ihrem Selbstverständnis wahre Wunder. Nebst dem, dass getrimmte Barthaare ganz wunderherrlich kitzeln …«
Spätestens jetzt hatten die Damen angebissen und František ein Haus mehr auf seiner Kundenliste. Dann trat er jeweils aus dem Schatten hervor, faltete die Hände, schwieg und lächelte. Er enttäuschte nie. Er überraschte seine Kundschaft mit Fingerfertigkeit und Horizont, die Gräfinnen und Grafen, die Söhne und Töchter, ganz besonders aber die Mütter der Töchter, wenn er aus einem ersten Haarschnitt – einmal mussten die Zöpfe der Kinderchen ja fallen – verspielte Schnecken-Postiches knüpfte, die die Zeit bis zur Hochzeit überdauern würden, auf dass sich die Braut an ihrem schönsten Tage dereinst damit schmücken könnte; er bediente sie alle zu ihrer sicheren Zufriedenheit, ob
Weitere Kostenlose Bücher