Die Ruhelosen
er es zu verdanken, zu so etwas wie einem eigenen Leben gekommen zu sein, sie war seine Retterin, seine Entdeckerin, seine Schöpferin, und er ließ sie seine Zuneigung in jedem Moment des gemeinsamen Lebens spüren.
»Du sollst wissen, wie sehr ich dich respektiere«, pflegte er zu sagen. Und Alžbeta lachte darauf ihr tiefes Lachen und nahm ihn zu sich in die warmen Arme.
Die Tage kamen und die Tage vergingen, und je sicherer er sich im gesellschaftlichen Gefüge der Kaufleute, Geschäftsherren und noblen Damen Ödenburgs und des Umlandes fühlte, umso leichter fiel ihm mit der Zeit auch der Verkehr mit Juden. Er fühlte sich nicht mehr länger verfolgt von ihnen wie ein Abtrünniger, Verräter, und die Zeit seiner mühsam aufgebauten Abwehr war weitgehend vorüber, da er jetzt ja endlich wusste, wer er war und wo er hingehörte.
Was nicht darüber hinwegzutäuschen vermochte, dass jener gewisse Konvertiten-Dünkel, der leider immer wieder in ihm aufquoll und auf den ihn Alžbeta regelmäßig aufmerksam machte, nie ganz wegzuleugnen war.
Bild aus Draht
Alzano Lombardo, 1860 –1876
Es war für den Knaben Serafino eine harte erste Zeit gewesen: Mit einem Schlag war er damals zum Mann der Familie geworden, und er konnte sich keine Phantastereien mehr leisten. Er musste Verantwortung übernehmen und sich mehr als nur einmal und nicht nur sinnbildlich ein schweres Joch überschultern, um bei anderen Familien einen kleinen Dienst zu verrichten, eine Knechtsarbeit zu übernehmen. Einen Zustupf mit nach Hause zu bringen, solange ihn seine müden Beine aufrecht hielten. Die Schafe hatten sie verkaufen müssen, eines nach dem andern, die Hühner waren allesamt der Reihe nach im Suppentopf gelandet. Aber was hätte man auch tun wollen, es war ja keiner da, der die Spatzen schoss oder ab und zu ein Karnickel mit nach Hause brachte, und die Beute, die er von seinen Plünderungszügen auf Schwalbennester heimtrug, war auch nicht gerade berauschend.
Immaculatas Vater, der sich seiner irgendwann erbarmte, brachte ihm das Schießen mit der Schrotflinte bei, und so kam doch hin und wieder eine Ente oder eines der zugewanderten Blesshühner, die in Norditalien überwinterten, auf den Tisch der bedürftigen Familie Senigaglia.
Überhaupt war ihm dieser Mann wie zum Ziehvater geworden. Da auch er in der Drahtzieherei arbeitete, konnte Serafino ihm jahraus, jahrein neue Handgriffe abschauen. Ganz besonders angeheimelt hatte Serafino aber, dass dieser Mann eine Geschicklichkeit und Sorgfalt an den Tag legte, grad wie sie ihm sein eigener Vater stets vorgelebt hatte.Nie hätte er ein Stücklein weggeworfen, nie ein Restlein ungenutzt verkümmern lassen, aus allem und jedem konnte er etwas herstellen, das ihm selbst oder irgendeinem anderen von Nutzen war.
Seine erste Blume aus Drahtschrott hatte Serafino dann auch speziell für Immaculata geknüpft: eine einfache Margerite, in der mittig eine gelbe Glaskugel festgeklammert war. Sie hatte gelacht und sich die Blume hinters Ohr gesteckt, und mit jedem neuen Stück, das sein Erfinderreichtum hervorbrachte, wurde das Schleichweglein zu Immaculatas Haus breiter ausgetrampelt, bis es bald kein Geheimnis mehr war, dass Serafino und Immaculata einander zugetan waren. Sie kam nach der Schule bei Giuseppina vorbei und half ihr mit den Kleinsten und bei der Wirtschaft. Ab und zu brachte sie Käse mit, den ihre Familie produziert hatte, Brot, eine Wursthälfte. Als Serafino damit anfing, seine Drahtgeflechte immer routinierter herzustellen, war es Immaculata, die die nötigen Kontakte zu den mittelständischen Familien Bergamos knüpfte, so dass das vaterlose Kind Abnehmer für seine aus silbrigem Draht geflochtenen und geknüpften Früchteschalen, Teeglashalter und Untersetzer fand. Zusammen mit seiner Arbeit in der Fabrik und unterstützt von der einen oder anderen Familie, die mit Naturalien und manchmal sogar mit einer einzelnen Lire-Münze aushalf, meisterten sie in großer Solidarität diese schwere Zeit.
Giuseppina heiratete nicht mehr, ihre Söhne zogen alle bis auf Serafino früh aus, und als er sich schließlich mit Immaculata verloben wollte, hörte sie sich den Entschluss ihres Sohnes an, hielt mit ihren knöcherigen Händen die Hände von Serafino und Immaculata, drückte sie fest zusammen wie ein Buch, dessen Geschichte man nicht entkommen lassen will, und legte sich dann schlafen. Es war, als ob sie nun loslassen konnte, alles Schwere endgültighinter sich lassen konnte und
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