Die Ruhelosen
Kunden von allem etwas in handlichen Mengen, bestellten zum Beispiel einen Vierlig Zucker oder ein Halbeli Wein, den die beiden aus den Abruzzen importierten, Oliven, Reis und Aprikosen und ließen es sich gutgehen mit ausländischen Spezereien. Darauf waren die Hiesigen ohnehin ganz versessen: sich mit dem Besten, was andere Länder zu bieten hatten, die eigene kartoffel-, kohl- und käselastige Küche aufzumotzen.
Inmitten der großen, stets blankpolierten Theke thronte die reich verzierte gusseiserne Ladenwaage der Firma Busch, und gleich rechts neben ihr stand die rot lackierte Aufschnitt-Schneidemaschine, eine Holländische Berkel, deren Kaufbetrag die Eheleute in monatlichen Raten abstotterten. Die erste und leider nicht die letzte Errungenschaft, die sie auf Pump getätigt hatten. Die Bauchschmerzen, die ihnen die offene Rechnung in den ersten Nächten machte, an die gewöhnte man sich bald. Zu bald.
Immer öfter bestellte nun Comsola auch in Katalogen, am liebsten war ihr der Illustrierte Hauptkatalog von AugustStukenbrok aus dem deutschen Einbeck. Seine Ware war, wie er selber anpries, in Dauerhaftigkeit allen überlegen. Bei ihm erwarb sie sich für den Eigenbedarf und manchmal für ein kleines Nebengeschäft Dinge wie Eieruhren, Korkzieher oder Büchsenöffner. Einmal auch einen Sperrtrichter aus Aluminium, mit dem sie den Wein aus den großen Flaschen in kleinere umfüllte, ohne dabei eines einzigen Tropfens verlustig zu gehen. Für die Kinder hatte sie ein eigenes Eck im Laden eingerichtet, ausstaffiert mit Stukenbrok-Artikeln: Zungenbällen, Doppelgelenkpuppen mit Schlafaugen und Wimpern und sogar einer elektrischen Puppenstubenbeleuchtung. Letztere ging besonders gut, Comsola war zu einer regelrechten Wiederverkäuferin von Stukenbroks Puppenstubenleuchtungen avanciert. Nicht einmal als sie für ihren Mann ein Geschäftsrad bestellte, muckte dieser auf. Sie zählte ihm einfach die Vorzüge auf – solideste deutsche Bauart, Gepäckträger, ein unübertroffenes Doppelglockenlager, ein kräftiger, besonders großer Sattel sowie eine Werkzeugtasche feinster Präzisionsarbeit –, und die Bestellung war geritzt. Einvernehmlich tat man so, als ob der Geldfluss grad nie versiegen könnte, spielte die Scharade vor niemand anderem als dem Ehepartner und genoss die Möglichkeit der Bestellungen auf Pump. Als Zugabe erstand Comsola noch zwei Reservereifen der Marke Teutonia Prima sowie eine vierteilige Teleskoppumpe. Was will man mehr?
Comsola hatte alles, was sie wollte. Auf den massiven Holztablaren beiderseits des Tresens fanden sich Haushaltsgüter wie Essig, Speiseöl, selbstgemachte Teigwaren wie Ravioli, Gnocchi, Involtini, weiter Reis, Flocken, Honig, Confituren, Gewürze und Senf, aber auch Charcuteriewaren wie Salami, Schinken, Mortadella sowie allerlei Gemüse und Früchte, je nachdem, was die Saison zu bieten hatte. Sie führten Mandelcreme, Maronencreme, hattensizilianische Pistazien im Sortiment, und ganz besonders stolz war Comsola auf ihre selbstgemachten Sugos, grüne, rote, und wenn Sepia da war, dann auch schwarze.
Neben der wuchtigen »National«-Registrierkasse standen mit zurückgeklappten Deckeln, unübersehbar bunt lackiert, die sieben Blechdosen mit den Bonbons und Caramels. Und in flachen langen Schalen hin und wieder Hülsenfrüchte oder Nüsse.
Sogar eine ganz besondere Exklusivität bot Comsola feil: Coca-Cola in geschwungenen Flaschen, was – zusammen mit einem Trinkhalm – besonders gut bei der Dorfjugend ankam; die junge Oberschicht mit ihren Dämchen der ersten Gesellschaft bestellte dazu gerne ein Tablett mit Gläsern, mit dem man sich, noch vor dem Ladenlokal in der Sonne stehend, amüsierte. Comsola ärgerte sich über einen solchen Verfall der Sitten nur gespielt, heimlich hätte sie darauf wetten mögen, dass die entsprechende Coca-Cola-Blechplakette, welche eingangs des Ladens hing, nichts mehr und nichts weniger als ihren guten Dienst versah. Darauf abgebildet, lächelte eine rotgewandete junge Brunette ein herausforderndes Lächeln unter üppig blumenbestecktem Sommerhut und leerte soeben ihr Gläschen …
In der Mitte der Rückwand des Ladens führte eine enge Treppe in den Keller hinab; dort unten wurden weitere Frischwaren aufbewahrt, von den lokalen Bauern abgenommene und auf einfachen Hürdeli gelagerte Kartoffeln, Äpfel, Wirsingkraut, aber auch Tiegel mit Pflanzenfett, Butter, Milch und nicht selten ein ganzes Schock Eier.
Und alles andere als verschämt
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