Die Ruhelosen
Ungaren gab, man verstand sich auf Anhieb.
Wie er einmal am Zürichsee unterwegs war und dort die Gemeinden nach einer günstigen Pension abklapperte, gab ihm ein Friseur den Tipp, es bei Schädlers zu versuchen. Es hieß, der Bauer sei ein weitaus besserer Gastwirt als Landwirt. »Ich kenne ihn selber nicht, aber er gilt als Geheimtipp hier in der Umgegend, und man erzählt sich, dass er es einem Gast an nichts mangeln lasse. Wenn er so großzügig ist, wie ich gehört habe, wird er dir sicher ein Bett für die Nacht anbieten.«
Eigentlich war sie für seinen Geschmack zu jung gewesen, er bevorzugte reife Frauen. Solche, die wussten, wie sieeinem Mann zu gefallen hatten. François pflegte sich in Paris mit routinierten Tänzerinnen zu amüsieren, hier und da schon etwas ramponiert oder aufgedunsen, aber dennoch hübsche Häschen, spärlich bekleidet und mit ihren Fingern und dem Mund so flink, dass er sich manchmal gar nicht daran erinnern konnte, wann und wie sein Hosenlatz aufgesprungen war. Was wollte er also mit einem so jungen Ding? Andererseits: hatte sie nicht wirklich einladende Hüften? Ein Hinterteil, das nur darauf wartete, poliert zu werden? Wieso nicht einfach einmal drübersteigen, der Bauer hatte ja gesagt, wenn er noch etwas nötig hätte, Mauritzli im Zimmer nebenan würde ihm gern zu Diensten sein. Wonach es ihn auch immer gelüstete. Aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein, man hatte ja bis weit in die Nacht hinein gezecht und palavert, ein eigenbrötlerisches Volk, diese Schweizer, schwer zu durchschauen in ihrem Hin und Her von Offenheit und Zugeknöpftheit. Es wurde mehr angedeutet als ausgesprochen, und François würde gut daran tun, ihren sprunghaften Charakter zu studieren, bevor er in die Geschäfte mit den Bürgern dieses Landes eintauchte. Man musste sich in den Köpfen seiner Geschäftspartner auskennen wie in Feindesland.
Als er kurze Zeit später in seinem knarrigen Holzbett lag und die Augen schloss, sah er sie über sich hängen. Diese Früchte der Natur, saftig wie Äpfel, vollmundig, erntereif. Kein Zweifel, dass unter ihrer strengen Bauerntracht kräftige Brüste warteten. Die müsste man einmal in Schwung bringen. Doch, es wäre eine wahre Sünde, dieses appetitliche Geschöpf Gottes nicht unter die Fittiche zu nehmen, nur für die eine Nacht, nur für eine Stunde, und diese aber mit aller Wollust füllen, zu der er fähig war, ja, das wollte er. Er hatte zwar schon einiges intus, aber probieren musste er sie auf jeden Fall.
Als er ihr nun Jahre später in Sankt Immer so unvermittelt gegenüberstand, waren ihm fast beide Augen aus dem Kopf gefallen. Er ging den steilen Weg vom Bahnhof in Richtung Dorfmitte hinan, der Mont Soleil lag verhüllt im Nebel, und die Menschen, denen François auf seinem kurzen Spaziergang begegnete, schlaarpten mit den Füßen. Alles schien verschlafen, müde, Menschen mit Gesichtern matt wie ungefärbter Marzipan. Einzig François war im Geiste voller Schmiss, ging er doch gerade seine Rede durch, mit der er den Notar, den er heute kennenlernen wollte, zu beeindrucken beabsichtigte. Auf der Reise durch die Franches-Montagnes nach Sankt Immer hatte er sich die Wörter einzeln zurechtgelegt und dann zufrieden und etwas irritiert zum Fenster hinausgeschaut; so viele Weiden. Die Worte in seinem Kopf waren auf Erfolg aus; das Unterfangen sollte unbedingt gelingen. In Bern hatte er ein leerstehendes Gebäude an der Kramgasse 75 ins Auge gefasst, und geistig sah er sie schon, die einladend gestalteten Werbeschriften, die Inserate, die er in den Tagblättern schalten wollte:
Toiletten-Artikel, Parfumerien en gros, Bedarfsartikel für Coiffeure, Posticheure und Manicure, Haarhandlung
. Auf einem Notizzettel, den er aus der eingenähten Tasche seines Trilbys, des knielangen Gehrocks, den er sich letzte Saison bei Aux Galeries Lafayette für spezielle Gelegenheiten geleistet hatte, kramte, notierte er: DEVISE:
Qualitätsware, Größte Auswahl, Niedrigste Preise
– so viel glaubte er vom Schweizer Volk mittlerweile verstanden zu haben, es kam ihm vor allem auf Qualität an. Dann hatte er seinen Blick wieder aus dem Fenster schweifen lassen, über die Hügel und Felder, die hohen Wälder, die verträumt in weichem Wiesenboden wurzelten, und Ewigkeiten lang nichts anderes mehr gesehen als Pferde, die ihren Kopf hoben, als der Zug an ihnen vorüberstampfte.
Die Häuser in Sankt Immer standen etwas hochnäsigkreuz und quer und drückten
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