Die Ruhelosen
bereit sei.
Der warme Geruch der Kühe beruhigte sie etwas, das Dampfen und Malmen und Wiederkäuen stimmten sie versöhnlich. Mauritzia holte den Melkschemel, die Holzwatte und das Jod und begann ihre Arbeit mit der vordersten Kuh, Albeli, der mit den großen gelben Hörnern, die sichso gerne von ihr streicheln ließ. Plötzlich aber wurde Mauritzia von hinten gepackt und durch die Luft geschleudert.
»Wusst ich’s doch!« Das war die Stimme Ruhstallers, der ihr jetzt unschön in die Augen starrte. »Ich habe euch gesehen, dich und den alten Sack!« Mauritzias Lunge füllte sich mit dem Schrecken seines beschwipsten Atems, ihr wurde übel, und ihr Körper wurde von einem Wimmern erfasst, das sie schüttelte. »Halt still, du kleines Luder, was der kann, kann ich schon lange …«
Um ihre Zöpfe würde sie sich später kümmern müssen, jetzt war sie eiligst dabei, die Kühe auszumelken, Rüedi war verschwunden, und bevor »Vatti« auftauchte, um nach dem Rechten zu sehen, wollte sie fertig und aus dem Stall heraus sein. Zwischen den Beinen brannte es sie, und immer wenn sie sich da kratzte, wurde es noch schlimmer, aber Nichtkratzen ging auch nicht. Wäre es Sommer gewesen, wäre sie kurzum in den Brunnen getaucht, aber jetzt war das undenkbar. Überhaupt hatte sie das »Müetti« schon zweimal nach ihr rufen hören. Mauritzia musste sich wirklich beeilen, wenn in ihr kein Argwohn aufkommen sollte. Ihre Tränen schmeckten heiß, süß-säuerlich. Sie vermisste ihre Schwester Lina, und sie vermisste ihren großen Bruder Jeremias, der sich nie von irgendjemandem auf der Nase hatte herumtanzen lassen, aber sie hatte beide nicht mehr gesehen seit dem Tag, als ihre Mutter starb, und es wollte ihr auch keiner sagen, wo und wie sie sie je wiederfinden könnte.
Am allerschlimmsten waren die langen Winternächte. In der oberen Kammer, wo das »Müetti« ein Bett für sie hingestellt hatte, einen Krug und eine Waschschüssel auch, zog es durch die Sparrenritzen hinein, und es schien, als ob gegen diesen zugigen Nachtwind einfach kein Schutz wäre.Mauritzia war es nicht erlaubt, eine Wärmeflasche mit nach oben zu nehmen, solch teures Gerät war den Schädlers allein vorbehalten, und, »du musst dich nicht grämen, Meitli«, wurde sie von »Vatti« zwischen Tür und Angel des WC-Häuschens beruhigt, wenn er wieder einmal schlauer gewesen war als sie und sie da überrascht hatte, wo sie für ein paar kostbare Minuten des Tages allein sein konnte, »uns wird schon etwas einfallen, um dich warm zu halten«.
Besonders reute Mauritzia, dass sie für sämtliche Wärmflaschen des Hauses hatte neue weiße Überzüge häkeln müssen, mit Mustern, die sie einst von ihrer lieben Mutter selig gelernt hatte, aber da gab es kein Erbarmen. Mauritzia zog sich die garstige Decke fester über den Kopf.
In ungezählten Nächten war der »Vatti« dafür besorgt, sie »warm zu halten«. Er rieb sich an ihr und drückte an ihr herum, dass sie sich wünschte, ihre Brüste würden ewig klein bleiben, nur um ihm nicht noch mehr Angriffsfläche zu bieten. Tagsüber bandagierte sie sie mit einem Stück Stoff und hielt sie so davon ab, sich unter den zerschlissenen Schürzenkleidern allzu deutlich abzuzeichnen. Aber wie hätte sie diese Spalte zwischen ihren Beinen schützen können? Nur einmal, ein einziges Mal, hatte sie versucht, sich zu wehren. Das war, als Aegidius Schädler, der älteste Sohn der Familie, sie bei der Apfelernte hinterrücks überfallen hatte und gegen den rauen Stamm des Obstbaumes warf. »Nicht, lass mich in Ruhe!«, hatte sie aufbegehrt, aber dummerweise war auch der jüngere nicht weit, Ferdinand, und der war sogleich zur Stelle. Gemeinsam hatten die beiden Schädler-Brüder ihr die Hände festgehalten und die Beine auseinandergedrückt. Als sie fertig waren und sie so daliegen sahen, gekrümmt wie eine tote Spinne, und als sie bemerkten, wie Mauritzia den Stoff ihres Unterrockes mit beiden Fäusten gegen ihren kleinen flaumigen Hügel presste, lachten sie gleichzeitig auf, und es war der Jüngere,Ferdinand, der sagte: »Dich verlangt wohl nach noch einer Ladung, was! Komm, Aegidius, hilf mir mal«, und das war’s dann gewesen, ihre Hände wurden ihr erneut weggezerrt, so dass ihr die Finger noch tagelang weh getan hatten und das Blut in ihnen pulsierte.
Nein, das Leben auf dem Schädlerhof war für Mauritzia kein Zuckerschlecken. Und auch in der Schule hatte sie einen schweren Stand, da sie nur selten den
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