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Die Runen der Erde - Covenant 07

Die Runen der Erde - Covenant 07

Titel: Die Runen der Erde - Covenant 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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sie ihr nie zugesetzt. Schon bald breitete sich das üppige Aroma von Erdkraft, numinos und unbeschreiblich, durch alle ihre Sinne aus und hob sie auf eine Wahrnehmungsebene, die klar wie Kristall, lebensprühend wie die Sprache der Sonne war. Von der Hand zum Arm, von der Schulter zu den Rippen und Oberschenkeln verflüchtigte sich eine Prellung nach der anderen, als seien sie durch einen Zauber hinweggenommen worden. Ihre Hautabschürfungen verblassten. Spürbar liebkost, gewannen gezerrte Muskeln und gedehnte Bänder ihre Kraft und Elastizität, ihre Leistungsfähigkeit zurück. Die schweren Anstrengungen der Flucht fielen von Linden ab, und sie fühlte sich auf einer Woge von Veränderung zu neuer Gesundheit emporgehoben.
    Es war Heilerde, was sie da in der Hand hielt. Durch den Wellenschlag des Flusses war der Sand mit dieser Tinktur aus reiner Gesundheit angereichert worden: ein subtiles und transzendentes Beispiel für das essenzielle Mysterium des Landes. Heilerde kam nicht häufig vor, keineswegs: Im größten Teil des Sandes und Erdreichs auf beiden Ufern des Mithil war keine Spur von ihr zu entdecken. Aber Linden nahm sie jetzt mühelos hier und dort wahr, in kleinen Spuren und Wirbeln zwischen den Steinen, als riefe sie ihren Nerven eine freudige Botschaft zu. Der Fluss selbst sprach mit ihr, während er plätschernd und murmelnd seinen Lauf nahm. Seine Wasser sangen ihr von stetig genährtem Wachstum und ausgedehnten Reisen; von Leben, das sich nach dem Schlaf erneuerte. In seinem hellen Fließen hörte sie die Musik der Winterstürme in den Bergen, die sehnsuchtsvollen Akkorde des langen Hungers der Strömung nach dem Meer. Wo es sie auch fand, drückte das Gras, in dem sie lag, seine grün sprießende Üppigkeit gegen ihre Haut. Es sprach von Gesundheit, die zarte, geschickte Wurzeln aus dem wenig fruchtbaren Sand- und Lehmboden sogen, der die Felsen darunter bedeckte: Erdreich, das vor zu kurzer Zeit aus abgetragenem Granit, Obsidian und Schiefer entstanden war, um so üppig Nahrung wie die Mittlandebenen und die Hügel von Andelain bieten zu können. Und unter dem Gras und dem Erdreich und der ersten Felsschicht spürte sie das lebende Skelett der Abhänge und Hügelkämme: hartnäckiger Stein, der an seinem Herzen Geheimnisse bewahrte, die dauerhaft und flüchtig zugleich waren, fühlbar genug, um geschmeckt zu werden, aber doch zu ausgedehnt und zu langsam, um gehört werden zu können.
    Die Heilerde in ihrer Hand hörte allmählich zu glitzern auf, als ihre Wirkung nachließ. Trotzdem hatte sie Linden auf die Beine gebracht, ihr wieder Mut gemacht. Freudentränen ließen ihren Blick verschwimmen, als sie sich dem hellen Vormittag, dem blanken Sonnenschein zuwandte. Überall um sie her erfüllte der Wohlgeschmack der neuen Jahreszeit die Luft mit Verheißung. Die Sonne wärmte sie fast von Mittagshöhe aus und ließ die letzten Reste von Prellungen und Erschöpfung verschwinden. So gab eine kleine Handvoll Sand und Heilerde ihr die Herrlichkeit des Landes zurück. Sie fühlte sich wie neugeboren. Aus Gründen, die sie nicht einmal andeutungsweise verstehen konnte, hatte Lord Foul sie hierher geführt, damit sie ihre Blindheit und Ziellosigkeit abschütteln konnte.
    Schließlich wandte sie ihre erneuerte Wahrnehmungsgabe ihrem Gefährten zu.
    Anele lag weiter mit vor das Gesicht geschlagenen Händen auf dem Rücken; aber nun brauchte sie nicht sein Gesicht zu sehen oder seine Stimme zu hören, um seine Verwirrtheit erkennen zu können. Seine Haltung und seine Hautfarbe, seine Atmung und seine hageren Knochen verkündeten sie ihr. Für Linden stand außer Frage, dass sein Geist an einem Verlust zerbrochen war, der so übermächtig gewesen war, dass er ihn nicht hatte ertragen können. Und sie wusste auch, obwohl dieses Wissen sie überraschte, dass den Verächter keine Mitschuld an Aneles Geistesgestörtheit traf. Aneles geistige Verwirrtheit ermöglichte Lord Foul, ihn zu besitzen; gestattete dem Verächter, aus ihm zu sprechen. Aber der alte Feind des Landes hatte diesen Wahnsinn nicht herbeigeführt. Aneles Notlage ließ ihr Herz schmerzen. Er musste geheilt werden, unbedingt geheilt werden. Er hatte schon viel zu viel gelitten. Und jetzt besaß sie plötzlich die Mittel, ihm zu helfen. »Anele«, fragte sie leise, »kannst du mich hören?«
    Er gab keine Antwort. Seine Hände blieben hartnäckig auf die Augen gepresst. Lord Foul war noch immer in ihm; sie konnte es sehen. Aber der Verächter

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