Die Runen der Erde - Covenant 07
seit kaum eineinhalb Tagen im Land war, waren schon zu viele Menschen für sie gestorben. Aber Sarah würde vielleicht überleben?
Sie versuchte es erneut. »Wie könnt ihr sehen? «
Diesmal verstand Hami sie. »Das ist kein großes Wunder. In diesen Bergen leben wir oberhalb des Übels, das du Kevins Schmutz nennst. Es behindert uns nicht, weil es uns nicht erreicht.«
Lindens Knie gaben nach, aber das nahm sie nicht recht wahr; sie merkte kaum, dass sie zusammengeklappt wäre, wenn Liand sie nicht gestützt hätte. Erleichterung hatte ihr den letzten Rest Willenskraft geraubt. Vielleicht konnte sie sich also doch von der Wirkung von Kevins Schmutz auf ihren Gesundheitssinn erholen.
Irgendwoher nahm sie noch die Kraft, ihren Dank für mehr Geschenke zu murmeln, als sie hätte aufzählen können. Dann gestattete sie sich zu schlafen.
Diesmal träumte sie nicht. Vielleicht befand sie sich außerhalb der Reichweite von Träumen.
*
Hungergefühle weckten sie, mehrere von ihnen, darunter auch das Bedürfnis nach Nahrung. Ihre Arme schmerzten, als hätte sie die Nacht damit verbracht, sich danach zu sehnen, ihren Sohn umarmen zu können. Und beginnende Vorfreude kreiste durch ihre Adern. Sie riss die Augen auf, als erwarte sie eine Überraschung – wie eine Frau, der gesagt worden ist, die Welt um sie herum sei neu erschaffen worden.
Als Erstes stellte sie fest, dass sie im frühen Morgengrauen des neuen Tages im Schutz eines Windschirms auf einem Lager aus Farnkraut ruhte. Obwohl die Luft kalt genug war, um ihr Gesicht brennen zu lassen, hatte sie es unter mehreren Decken behaglich warm. Irgendjemand – vermutlich Liand – hatte sie zu Bett gebracht.
Als sie den Kopf hob, um sich umzusehen, hatte alles, was sie sah und fühlte, sich verwandelt.
Das schwache Dämmerlicht ließ kaum Einzelheiten erkennen; trotzdem wusste sie ganz ohne Zweifel, dass jetzt Frühling war. Die Luft selbst sagte es ihr: Sie flüsterte von tauendem Schnee und neuem Wachstum; von emsiger Bereitschaft, die Keimungsperiode beginnen zu lassen. Das Farnkraut ihres Lagers versicherte ihr, es sei vor langer Zeit vertrocknet und abgeknickt, werde aber bald wieder sprießen; reichlicher Tau benetzte das widerstandsfähige Gras und erweckte das Erdreich bereits zu neuem Leben.
Die Ramen waren vor ihr aufgestanden und bewegten sich durchs Lager, um die Morgenmahlzeit und ihren Aufbruch vorzubereiten. Der hohe Himmel spendete noch nicht so viel Licht, dass Linden ihre Gesichter hätte studieren können; aber sie brauchte keine Beleuchtung, um ihre beträchtliche innere Stärke zu erkennen oder die Unverfälschtheit ihrer Hingabe zu spüren. Für sie stand außer Zweifel, dass dies ein Volk war, das Treue hielt: in seinem Dienst so unerschütterlich wie die Haruchai – und ebenso wenig kompromissbereit.
Trotzdem wirkten die Ramen menschlicher als Stave und seinesgleichen. Sie besaßen weder die erstaunliche Kraft der Haruchai noch deren Langlebigkeit. Und ihre Treue fand einen anderen Ausdruck. Sie waren keine Männer und Frauen, die den Ehrgeiz hatten, sich im Kampf gegen die Gefahren des gesamten Landes zu bewähren. Sie hegten keine Ambitionen, die sie hätten verführen können. Stattdessen strebten sie ohne Zweifel oder Zögern nur danach, von Generation zu Generation unverändert zu bleiben.
Während Linden sie von ihrem warmen Lager aus beobachtete, empfand sie Demut und Jubel zugleich.
Tu etwas, was sie nicht erwarten.
Irgendwie hatte sie es geschafft, Begleiter zu finden, die ihr jede erdenkliche Hilfe gewähren würden – solange ihre Wünsche nicht mit den grundlegenden Verpflichtungen der Ramen kollidierten. Woraus diese Verpflichtungen bestanden, konnte Linden nicht einmal vermuten; sie versuchte es gar nicht erst. Im Augenblick gab sie sich mit dem Wissen zufrieden, den Ramen trauen zu können.
Im Schlaf war ihr Gesundheitssinn zurückgekehrt. Nun pulsierten Leben und Erdkraft fast greifbar unter der Oberfläche aller Dinge, auf die ihr Blick fiel. Selbst die Morgenluft, ihre Umgebung und ihre Gefährten schienen voller Hinweise zu stecken. Diese durch ihre wiedergewonnene Wahrnehmungsgabe ermöglichten neuen Empfindungen ließen Lindens Nerven freudig vibrieren.
Sie schlug die Decken beiseite und stand in der morgendlichen Kälte auf, um nach Sahah zu sehen. Als sie das tat, schienen die Berge um sie herum in die Höhe zu springen, als seien sie von der Morgendämmerung erschaffen worden.
Jenseits der Felsrippe,
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