Die Runen der Erde - Covenant 07
sie mich nicht sehen können. Von Zeit zu Zeit gewähren sie mir Nahrung und Obdach. Aber sie sind nicht geblendet. Stieße irgendein Meister auf mich, würde ich gefangen genommen und wäre verloren. Deshalb habe ich dich nicht aufgesucht.«
Um ihn nicht zu verschrecken, forderte Linden ihn nicht auf, ihr zu erklären, wer sie waren. Diese Frage hatte Zeit bis später. Erst musste sie mehr über seinen Geisteszustand, seine anscheinend eingetretene Genesung erfahren. Ruhig erkundigte sie sich: »Kevins Schmutz? Was ist das?«
Trotz ihrer Vorsicht zuckte er zusammen. Plötzlich ungeduldig, verlangte er zu wissen: »Du hast ihn selbst wahrgenommen, habe ich recht? Vom Kevinsblick aus. Etwas Böses, das das gesamte Land bedeckt. Das ist Kevins Schmutz.«
»Ja, natürlich«, antwortete sie verwirrt. »Eine schmutzig-gelbe Wolke, wie starker Smog. Aber jetzt ist sie fort.«
Anele schnaubte. »Das ist sie nicht. Du bist nur blind.«
Unsicher geworden sagte sie: »Das verstehe ich nicht.«
Er warf den Kopf ruckartig auf die andere Seite. »Nimmst du mich jetzt wahr? Erkennst du, was ich bin?«
»Natürlich ...«, begann Linden, dann stockte sie. »Nicht wie zuvor«, gestand sie ein. Zu Anfang hatte sie seinen derangierten Geisteszustand und die Erdkraft in seinen Adern deutlich erkannt. Jetzt konnte sie nichts mehr davon entdecken.
»Du bist blind«, wiederholte er abschätzig. »Kevins Schmutz blendet dich. Auf dem Kevinsblick hast du über ihm gestanden. Er konnte dir nichts anhaben. Aber jetzt ...« Er schmatzte verächtlich oder bedauernd mit den Lippen. »Weil er dich blendet, nimmst du ihn nicht wahr. Auch mich siehst du nicht. Nur die Meister ...«
Er umklammerte ihren Unterarm plötzlich fester. Sein Benehmen wurde übergangslos ängstlich. »Kommen sie?«, flüsterte er. »Ich kann nicht sehen, und ihre Verstohlenheit übersteigt mein Hörvermögen.«
Obwohl er sie nicht beobachten konnte, sah Linden sich demonstrativ in dem Tal um, suchte das schräge Trümmerfeld ab. »Ich sehe niemanden. Wir sind allein, zumindest vorläufig.«
Anele klammerte sich mit beiden Händen an sie. »Sie werden kommen.« Seine Stimme bebte. »Du musst mich beschützen.«
Das war die Gelegenheit, die sie brauchte. Sie nahm ihn an den Schultern, hielt ihn mit beiden Händen fest. »Das werde ich. Ich habe es dir bereits versprochen. Und bisher habe ich dich am Leben erhalten. Niemand wird dich verletzen oder gefangen nehmen, solange ich es verhindern kann.«
Langsam entspannten seine Züge sich wieder. »Vor dem Einsturz des Kevinsblicks«, antwortete er halblaut, »ja. Durch Macht. Solche Dinge sind möglich.« Er seufzte leise. »Ich habe an meiner Macht versagt. Sie war in meine Hände gegeben, aber ich habe dieses Vertrauen enttäuscht.«
Seine Erdkraft? Hatte ›Kevins Schmutz‹ ihn seiner Macht beraubt, wie er ihren Gesundheitssinn geblendet hatte? Oder sprach er von etwas anderem?
Aber sie verfolgte diese Fragen nicht weiter, sprach stattdessen zu ihm von ihren eigenen Bedürfnissen. »Richtig, ich habe dich gerettet«, begann sie. »Jetzt kannst du mir helfen. Anele, ich bin hier fremd. Ich war schon einmal in dem Land, aber das ist sehr lange her. Seit damals hat sich alles verändert.« Sie appellierte an ihn, wie sie oft an ihre Patienten appelliert hatte, ihr Hinweise für ihre Therapie zu geben. »Du musst verstehen, dass ich nicht weiß, was hier vorgeht. Ich weiß nichts von Kevins Schmutz oder Meistern oder dieser grässlichen Aura ...«
»Die Zäsur «, warf er hilfsbereit ein. Wären seine Augen heil gewesen, hätten sie vielleicht wie die eines Vogels geglitzert.
Linden nickte. »Also gut, diese Zäsur. Ich weiß nicht, was sie ist. Ich weiß nicht, was sie macht, außer Angst und Schrecken zu verbreiten. Ich kann mir nicht mal vorstellen, was Lord Foul erreichen will, wenn er ...«
Bei der Erwähnung des Namens des Verächters fuhr Anele erneut zusammen. Er befreite sich mit einem Schulterzucken von ihren Händen und kauerte sich an den Felsblock. Dabei drehte er den Kopf ängstlich von einer Seite zur anderen, als versuche er, eine Gefahr zu orten.
»Der Graue Schlächter«, flüsterte er. »Verursacher der Schändung. Er strebt danach, mich zu vernichten. Er schickt seine Zäsuren, um Zerstörung zu bewirken. Kevins Schmutz blendet das Land. Die Meister nennen ihn ihren Feind, aber sie dienen ihm und wissen es nicht.«
»Anele.« Linden beugte sich zu ihm hinunter; sie war sich nun sicher, dass
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