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Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)

Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)

Titel: Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Ballantine
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beeindruckend, befanden sich aber – anders als Sorcha festgestellt hatte – nicht genau in der Mitte der Halle, sondern ein wenig rechts der Kanzel, also genau dort, wo die Sensiblen saßen.
    Der Diakon holte tief Luft und warf einen Blick zu der Frau hinter sich. Sie lächelte nicht mehr, doch ihr Blick war entschlossen. Ungeachtet ihrer schlanken Gestalt und ihrer Rehaugen besaß sie echte Stärke – das gefiel ihm an Nynnia.
Ablenkungen, Ablenkungen,
ermahnte er sich, drehte sich erneut zu dem versengten Stein um und betrat den schwärzesten und am tiefsten eingebrannten Teil des Bodens.
    Sein Zentrum war seit Stunden offen, und wie ein Auge, das zu lange in die Sonne gesehen hatte, war es empfindlich. Er wusste, es würde nicht einfach oder angenehm werden, dorthin zu treten, wo so viele gestorben waren. Es war, als begäbe er sich in einen Tornado. Wenn Unbegabte plötzlich starben, gab es einen Riss im Äther – einen kurzen Moment, in dem die Anderwelt sichtbar wurde. Wenn Sensible starben, befleckte ihr Tod alles.
    Merrick war in den Augenblick ihres Todes getreten. Grauen und Ungläubigkeit von neun Sensiblen überschwemmten ihn. Er spürte ihren Flammentod auf der Haut und heulte kurz auf wie sie, doch dank seiner Ausbildung beherrschte er sich. Während er ihre Erfahrungen durchlebte, versuchte er zu sehen, was sie im Todeskampf nicht wahrgenommen hatten. Den Geist.
    Er hatte noch nie etwas Derartiges gelesen oder gesehen. Nicht der typische Energiewirbel, sondern eher ein Feuerwesen war da auf die Diakone niedergestoßen, ein materielles, zielgerichtet handelndes Wesen, und auch das war beispiellos. Die Unlebenden handelten durch Sterbliche. Natürlich griffen sie auch keine Sensiblen an. Selbst diese Sicht aus zweiter Hand ließ Merrick zittern. Sein Blick verschwamm in Tränen – vom Hinschauen brannten ihm die Augen und das Zentrum. Und der Geist erwiderte seinen Blick.
    Kleiner Diakon Chambers.
Die Augen aus brennendem Licht bohrten sich in ihn hinein, sahen ihn in dem schwarzen Ring stehen, wo andere seiner Art gestorben waren. Sie waren unbarmherzig und uralt. Das Wesen griff nach ihm …
    »Merrick!« Nynnia riss ihn vom Ort des Todes weg und umklammerte seine Arme mit zitternden Händen.
    Er taumelte ein wenig und schüttelte lange den Kopf, um seine Vision loszuwerden. Nichts blieb außer dem Schweigen und dem Geruch verkohlten Todes. Was er gesehen hatte – das Wesen oder was auch immer –, war in keinem seiner Lehrbücher beschrieben oder erwähnt worden. Und auch von den älteren Sensiblen hatte er nie etwas darüber gehört.
    Vielleicht war es ja gar kein Geist? Wenn es keine Ähnlichkeit mit einer bekannten Form besaß, konnte es doch auch etwas völlig anderes sein? Diese Vorstellung war weit schlimmer als jede Unsicherheit. Wenn es so wäre, waren sie nicht darauf vorbereitet, mit dieser neuen Bedrohung fertigzuwerden.
    Er drückte eine Hand auf den Mund, schwankte leicht, fing sich an einer umgeworfenen Bank und sah zufällig nach oben. Der Dachstuhl aus Eiche war fast so schlimm verkohlt wie der Boden. Wenn das Wesen auf den Steinfliesen gelandet war, dann war die hohe Decke nicht ohne Grund verbrannt. »Seht, Nynnia. Ich glaube, das Ding hat diese Welt von dort aus betreten.«
    »Durchs Dach?«
    Es war ein weitverbreiteter Irrtum, Geister könnten nur durch Beschwörungszirkel in die Welt gerufen werden. Manchmal wurden sie auch durch eine bestimmte Person oder einen Gegenstand, einen Kinderreim oder eine Melodie beschworen. Doch als Merrick sein Zentrum nach oben richtete, sah er, dass etwas in die Decke geschnitzt war. Die Worte waren verbrannt, aber im verkohlten Holz war ein Wappentier zu erkennen, das er gut kannte. Der Rossin.
    Ohne nachzudenken, aktivierte Merrick seine Verbindung zu Sorcha und tastete voller Angst nach ihr. Sie war da. Er atmete vernehmlich aus. »Den Knochen sei Dank, sie lebt.«
    »Diakonin Faris?« Um Nynnias Mund zuckte ein bitteres Lächeln. »Warum denkt Ihr, sie sei tot? Wenn jemand auf sich aufpassen kann, dann sie.«
    Merrick stieß ein kurzes Lachen aus, erwähnte den Rossin aber nicht. Es mochte Zufall sein, und der Prätendent war seit einer Woche mit ihnen zusammen. Aber Merrick wurde das Gefühl nicht los, dass mehr dahintersteckte.
    Er schob seine Ängste und Sorgen beiseite und ging im Geiste noch mal seine Grundausbildung durch. So schrecklich es auch war: Die einzigen Hinweise lieferten die furchtbaren Momente vor dem Tod der Diakone.

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