Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)
besaß eine Rune, um es aufzuhalten.
Sorcha streckte die Hand aus und packte Raed. Es war eine unwillkürliche Geste – das Bedürfnis, ein letztes Mal menschliche Haut zu spüren.
Merrick war der Anderwelt ungeschützt ausgesetzt. Nachdem er aus seinem Körper geglitten war, drohte ihm nun, ihn ganz aus den Augen zu verlieren. Er musste dem Tod nah sein – dafür hatte er zweifellos genug Blut gelassen. Kein Buch hatte sich je damit befasst, was geschehen würde, wenn ein Sensibler, der den Riemen trug, aus dem Leben schied – und bisher war auch nie ein Sensibler Ziel so eines Angriffs gewesen. In der Ruhe seines Zentrums spürte er, dass die Bande von Fleisch und Knochen ihn noch immer an etwas fesselten. Konnte es der Riemen sein, der ihn festhielt?
Er hörte den Rossin durch die Türen der Festung krachen und wurde Zeuge des rätselhaften Rückzugs des Geistherren. Dann sah er Sorcha durch den Riemen, nicht so strahlend wie Prätendent Raed, aber immer noch unbeschreiblich schön.
Die Bücher sprachen von einer inneren Distanznahme an der Schwelle des Todes. Doch eines störte seine Ruhe: eine Hitze von oben. Sie konnte nicht rein körperlich sein, denn er war nun jenseits des Körperlichen. Merrick wollte nicht nach oben schauen, wollte nicht sehen, was kam, nicht wissen, wem sein Blut zum Durchbruch in diese Welt verholfen hatte.
Schaue tief, fürchte nichts.
Eine Stimme, hell und nah, wiederholte das Mantra der Sensiblen und erinnerte ihn an seine Aufgabe. Selbst im Sterben klammerte er sich noch daran. Es musste Sorcha sein. Ihre lästige Verbindung erwachte zum Leben.
Durch die Runen der Sicht lenkte Merrick seinen Blick nach oben. Zauber, Wehrsteine, Blut und Runen, alle Macht dieser Welt war auf einen einzigen Zweck gerichtet: tief in die Anderwelt hineinzugreifen. Er wusste nicht, welche Ebene Aulis sich zunutze gemacht hatte, aber ein Blick auf die riesige, mit fünf Krallen bewehrte Hand, die sich einen Weg in die reale Welt riss, sagte ihm alles, was er wissen musste.
Alle Gelassenheit floh vor der Erinnerung. Die fünf tiefen Rillen in altem Stein: Er hatte sie mit seinen jungen Händen nachgezeichnet und sich eingeprägt, wo sein Vater gestorben war. Nie hatte er herausfinden können, was ihn getötet hatte, so viele Bücher er auch las, so viele Diakone er auch befragte. Und jetzt war es hier. Er wollte fliehen. Er wollte in die Anderwelt gehen und das Leben verlassen. Doch wieder war die Stimme in seinem Kopf.
Ihr seid stärker. Erinnert Euch an Eure Ausbildung. Erinnert Euch an Eure Macht.
Die Verbindung musste sich verstärkt haben, während er den Riemen trug. Der Riemen – natürlich!
Merrick konzentrierte sich auf die Rune auf dem Riemen, die nicht geringer war als die auf Sorchas Handschuhen: Mennyt konnte ihn in die Anderwelt bringen. Sie war nicht die letzte Rune der Sicht, aber sie genügte. Durch sie sah er seinen Kontakt zur realen Welt. Die Verbindung war nicht der einzige Kontakt. Viele Dinge banden ihn an diese Seite: Hoffnungen, Worte und Träume. Es waren die Dinge, die den Geist eines Menschen zu einem Schatten machten. Er kannte sein ganzes Schicksal. Er würde es nicht zulassen.
Das Wesen bewegte sich auf die Realität zu und stieß den Kopf gegen die natürlichen Grenzen der Welt, wie ein Rotzlöffel das Gesicht gegen ein Schaufenster drückt. Es war nicht für diese Welt bestimmt, obwohl Merrick spürte, wie sein Sirenengesang an ihm zog und ihm vieles versprach. Etwas tief in seinem Innern wollte diesem Wesen alles geben, Knochen, Fleisch und Sehnen. Merricks Blut pochte in den Schläfen und übertönte jedes andere Geräusch.
Die Wehrsteine, die Zauber, das Blut, Sorcha, Raed und er selbst: Merrick konnte sie in seiner Sicht spüren wie Schachfiguren. Alles war genau austariert. Es erforderte nur einen kleinen Stoß. Ein winziger Stoß, und das Kartenhaus, das Aulis so sorgfältig errichtet hatte, würde einstürzen.
Doch er konnte es nicht zum Einsturz bringen. Wie immer war das Sehen seine Rolle – Sorcha musste ihren Platz in diesem Drama einnehmen. Er griff nach ihr.
Die Steine,
flüsterte er ihr ein. Ihre Augen wurden schmal, und er wusste, dass sie sah wie er. Die Verbindung wurde stärker, er spürte sie wie Efeu, der eine Mauer hinaufkroch und sie enger und enger miteinander verband.
Der schwächste Punkt.
Ihre Gedanken folgten seiner Führung. Sie war wie ein Blitz, brannte, handelte, ohne nachzudenken. Er bewunderte das – und verließ sich jetzt
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