Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
die dreistöckige Mauer über den chiomesischen Diakoninnen und riss Sorcha und Merrick von den Füßen. Für einen Moment war alles weiß.
Als sich durch den Staub hindurch endlich wieder etwas erkennen ließ, drehte Sorcha sich zu Abt Yohari um, der hinter ihnen an eine Wand gelehnt saß. Auf seinem erhobenen Handschuh tanzten noch immer die Reste von Chityre. Sein dunkles, schönes Gesicht war für einen Herzschlag von Schmerz und Zorn verzerrt, bevor seine Züge sich rasch in trainierter Disziplin glätteten.
Ein Blick dorthin, wo die Reste des eingestürzten Gebäudes standen, sagte Sorcha, dass niemand aus diesen Trümmern klettern würde. Sie warf Merrick trotzdem einen Blick zu. Sein Kopfschütteln war die endgültige Bestätigung.
Sorcha pflanzte sich vor dem Abt auf, atmete langsam aus und stellte fest: »Sie waren auf dem Rückzug.«
Seine Miene hätte einer Statue alle Ehre gemacht. »Sie sind vom rechten Weg abgekommen«, war seine einzige Antwort.
Sorcha wusste nicht, was sie von dieser Unerbittlichkeit halten sollte. Der Orden hatte viele Regeln, die sie lieber nicht kennen wollte.
Yohari streifte seine Handschuhe ab, schob sie unter seinen Gürtel und streckte Sorcha herrisch eine Hand hin. Ihre Blicke trafen sich, und für einen langen Moment rührte Sorcha sich nicht. Schließlich war es Merrick, der treue, verlässliche Merrick, der herbeisprang und dem verletzten Abt auf die Beine half.
Wie auf ein Stichwort hin begannen Sorcha alle Muskeln zu schmerzen – aber es war höchst unwahrscheinlich, dass sie Zeit haben würde, sich in einem heißen Bad zu erholen. Bis dahin würde es noch sehr lange dauern. Trotz der Schmerzen zog sie ihre Handschuhe nicht aus.
»Bringt mich zum Prinzen.« Der Abt stützte sich auf Merrick und funkelte Sorcha an. »Wir müssen zum Prinzen.«
Sie hätte gern einen Grund gehabt, Yohari zu verlassen, aber die Bande der Loyalität hielten sie immer noch auf dem Pfad des Ordens. Außerdem konnte sie Merrick nicht die ganze Last allein schultern lassen. Kaum hatte Sorcha ihren Platz unter dem rechten Arm des Abts eingenommen und den Geruch von Blut und Weihrauch eingeatmet, pflichtete sie ihm auch schon bei.
»Dann auf zum Prinzen – und bei den Knochen, hoffentlich wird das ein kurzer, ereignisloser Weg.«
Sie erreichten ihr Ziel in der finsteren Kälte des Abends. Raed versuchte längst nicht mehr, länger wach zu bleiben als Zofiya, und war in der schwankenden Kutsche wieder eingeschlafen. Wenn ihn das Leben auf der Flucht eines gelehrt hatte, dann dies: Man ruhte sich am besten immer dann aus, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot.
Als die Kutsche daher holpernd zum Stehen kam, schreckte er aus dem Schlaf hoch und griff automatisch nach seinem Schwert. Doch die Scheide an seiner Seite war leer, und seine Hände blieben fest mit den Wehrsteinen gefesselt.
Zofiya auf dem Sitz gegenüber lächelte ihn beinahe schüchtern an, beugte sich vor und riss an der Schnur, an die er gekettet war. Raed überlegte kurz, sich zur Wehr zu setzen, beschloss dann aber, seine Energie besser zu schonen. Wenn es der Großherzogin Spaß machte, ihn wie ein zahmes Tier herumzuführen, würde er ihr diese Illusion nicht nehmen.
»Ich hoffe, wir haben nicht alle warten lassen«, murmelte er beim Aussteigen.
Zofiyas lachte leise und entzückt. »Auf Euch würden sie warten, Raed Syndar Rossin, denn
Ihr
seid der Ehrengast.«
Das war nicht gerade eine aufmunternde Bemerkung, und Raed beschloss, sie zu ignorieren.
Sie waren immer noch von Sand umgeben – kaum überraschend, da sie mit der untergehenden Sonne zur Linken gereist waren, was nur noch mehr Wüste bedeutete. Die Hitze hatte sich längst gelegt; stattdessen wehte ein eisiger Wind von den Dünen. Raed zitterte und sah sich um. Eine lange Reihe brennender Fackeln führte in die Dunkelheit, wobei er eine Erhebung am Horizont ausmachen konnte, denn dort waren die Sterne verdeckt. Es mochte nur eine weitere Sanddüne sein, aber ein tieferes Bewusstsein, wahrscheinlich etwas vom Rossin, sagte, dass dem nicht so war.
»Ich hoffe ja, das ist kein weiteres Ritual, für das königliches Blut benötigt wird.« Er seufzte mit gespielter Langeweile. »Denn davon habe ich jüngst eines durchlaufen.«
»Die Murashew in Vermillion?« Zofiyas Stimme war klein in der gewaltigen Wüste. »Das war ein Geist – dies hier ist für unsere Strahlende.«
»Sie wollen kein königliches Blut, Bruder« – erklang eine zweite Frauenstimme aus der
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