Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
waren, starrte er zu den Sternen empor.
»Hoch mit ihm.« Er vernahm Fraines Stimme wie unter Wasser. Es hätte ihn nicht überraschen sollen, dass es Isseriah war, der ihn wieder auf die Knie zog. Unter der Herrschaft eines neuen Rossin-Kaisers hatte man dem Rebellen sicher versprochen, ihn wieder in den Grafenstand zu erheben. Raed verspürte keinen Hass mehr, aber er spuckte dem Verräter vor die Füße.
Geschunden und mit wehem Herzen betrachtete der Junge Prätendent seine fünf Seeleute: Snook, Laython, Balis, Nyre und den jungen Iyle. Sie erwiderten seinen Blick mit zusammengebissenen Zähnen, dunklen Augen und Resignation. Sie wussten so gut wie er, was kam.
»Es war ein Vergnügen, mit Euch zur See zu fahren, mein Prinz.« Snook hob den Kopf, und Licht strömte über ihr schmales, süßes Gesicht. Anders als Aachon hatte sie seinen Titel nie benutzt. Dass sie es jetzt tat, erfüllte ihn mit kaltem Grauen.
»Lang lebe Prinz Raed«, rief sie, und die anderen vier Besatzungsmitglieder wiederholten ihren Ruf, als hinge ihr Leben davon ab – aber es änderte nicht das Geringste.
»Es war mir eine Ehre«, stieß Raed mit erstickter Stimme hervor.
Er wurde mit festem Griff gehalten, während alle fünf Wachen mit einer geübten Bewegung alle fünf Kehlen aufschlitzten. Nicht einer seiner Leute flehte um Gnade. Das Blut spritzte über den Sand, dann ließen sie die Leichen fallen. So waren sie keine Menschen mehr, nur Fleischbündel, die er einst gekannt und geliebt hatte und mit denen er gesegelt war.
Raed brüllte und griff nach dem Zorn des Rossin, ohne sich darum zu scheren, was danach geschah, aber was er fand, war bloß Leere. Dies war seine Mannschaft. Sie hatten ihn jahrelang begleitet, und er hatte sie – fern der Meere, die sie liebten – in den Tod geführt. Wie alles andere war dies seine Schuld.
»Ich sehe jetzt, Bruder« – Raed sah auf, als ihn die Worte seiner Schwester wie spitze Steine trafen – »dass du tatsächlich ein Herz hast. Jedenfalls, bis sie es dir herausschneiden.«
Was konnte er seiner Schwester sagen? Wie oft Raed sich auch einreden mochte, es sei der Fluch gewesen, die Bestie, der Rossin, der ihre Mutter in Stücke gerissen habe: Er konnte doch die Schuld nicht abschütteln, es in gewisser Weise selbst gewesen zu sein.
Für Fraine konnte der Junge Prätendent keine Worte finden. Sie war nicht die kleine Schwester, die er auf den Schultern getragen hatte, aber ebenso wenig war er noch der sorglose Junge. Der Rossin hatte sie beide zusammen mit ihrer Mutter getötet.
Fraine und Tangyre sahen ihn an. Raed wollte, dass sie damit aufhörten, wollte es hinter sich bringen. Jeder Knochen und Muskel in seinem Leib schmerzte, aber das war nicht so schrecklich wie der Schmerz in seiner Seele – falls er eine Seele hatte.
Seine Schwester warf Zofiya einen Blick zu. »Wird es wehtun?«
Die Großherzogin summte leise eine kleine Melodie, den Blick auf den Hügel gerichtet, der den Horizont verfinsterte. »Sie werden morgen alle versammelt, und die Strahlende wird herabsteigen.«
Zofiyas Lachen brach ab, und trotz seines Schmerzes hörte Raed, dass immer weniger von ihr selbst in ihrer Stimme war. Er wusste alles darüber, was es bedeutete, von innen aufgefressen zu werden. »Oh, es wird wehtun. Die Strahlende wird sein Herz und sein Gehirn verschlingen und durch sie auch die Bestie in seinem Inneren.«
Im Feuerlicht schluckte Fraine vernehmlich und wirkte für einen Moment bleich, fasste sich aber wieder und nickte. »Gut … ich will, dass er genauso leidet, wie unsere Mutter gelitten hat. Er soll Schmerz und Furcht kennenlernen, bevor er stirbt.«
»Das kann ich Euch garantieren.« Die Großherzogin deutete eine kleine, spöttische Verneigung an. »Jetzt begebt Euch nach Norden und gewinnt die Prinzen dort für unsere Sache.«
Dann drehten sich die beiden Frauen, die ihn diesem Schicksal zugeführt hatten, auf dem Absatz um und wurden schnell von der Dunkelheit verschluckt.
Raed schüttelte sich und spürte, wie sich das Blut seiner Mannschaft um seine Knie sammelte. Er wusste, dass er Zofiya aufhalten musste – sie würde das Reich zerstören. Selbst wenn es ihr gelingen sollte, den Thron zu beanspruchen, würde es Tod und Krieg für viele Jahre bedeuten – vielleicht für Generationen.
»Zofiya«, sagte er und drehte sich um, »was denkt Ihr Euch dabei? Ihr werdet Euren Bruder töten müssen, um die Krone zu erlangen. Nach allem, was ich gesehen habe, liebt Ihr ihn
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