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Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)

Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)

Titel: Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Ballantine
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Dunkelheit – »sonst hätten sie etwas von meinem haben können.«
    Für einen langen Herzschlag blieb Raed erstarrt und war davon überzeugt, das Gespenst seiner Mutter habe irgendwie den Weg hierhergefunden. Es war ihre Stimme, leicht und süß, aber trotzdem von der Autorität königlicher Herkunft erfüllt. Sofort schossen ihm Tränen in die Augen, als das letzte Bild, das er von ihr hatte, vor ihm aufblitzte: ihr schönes Gesicht, schmerzverzerrt, kurz bevor der Rossin ihr das Leben nahm.
    Der Junge Prätendent drehte sich um. Eine Gestalt, hochgewachsen und wohlgeformt, stand neben der nächsten Fackel. Sie trug eine Kapuze, aber als er sie ansah, zog die Gestalt sie mit zierlichen Händen herab. Glänzende goldene Locken ergossen sich über ihren Rücken, während eine schimmernde Perlenschnur sie ihr aus dem Gesicht hielt. Raed trat erschrocken einen Schritt zurück. Seine Schwester war das lebende Abbild ihrer Mutter.
    »Fraine?«
    Seine Schwester stand neben der Fackel und machte keine Anstalten, auf ihn zuzukommen. Es waren fast zehn Jahre vergangen, seit er sie zuletzt gesehen hatte, aber ihr Gesicht zeigte nicht die geringste Freude. Gefesselt war sie auch nicht, doch als er genauer hinsah, fehlte etwas in ihren Augen – sie waren so leer wie die eines Hanfrauchers.
    Raed warf Zofiya einen Blick zu, aber die Großherzogin lächelte bloß. »Fraine« – er wagte sich zaghaft vor und spähte dabei in die Dunkelheit – »was haben sie mit dir gemacht?«
    »Das ist nicht die richtige Frage, Bruder. Du solltest fragen, was
ich
mit dir gemacht habe.« Ihre Stimme war seltsam tonlos.
    Raed lief es eiskalt über den Rücken, und ihn beschlich ein schreckliches Gefühl von Unwirklichkeit. Das konnte nicht Fraine sein! Es musste eine grausame Illusion seiner geliebten Schwester sein. Er konnte nicht den ganzen Weg gereist sein, um dies vorzufinden.
    »Fraine?«
    »Hör auf, meinen Namen zu benutzen!«, zischte sie und trat endlich vor. Undeutlich stellte Raed fest, dass seine Schwester so groß war wie er. »Erzähl mir nicht, du hast ernsthaft gedacht, ich sei entführt worden?«
    Alles war still. Selbst der Wind von den Dünen hatte sich gelegt. Raeds Mund war trocken. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Aber Tang meinte …« Er griff nach irgendwas – nach irgendwelchen Tatsachen.
    »Mich blenden keine alten Loyalitäten mehr wie früher.« Tangyre Greene trat ins Licht und stellte sich neben Fraine.
    Es war wie ein groteskes Bühnenstück. Raed hatte sich immer seiner schnellen Auffassungsgabe gerühmt, doch obwohl alles auf grausame Art einen Sinn ergab, vermochte er es noch immer nicht zu akzeptieren. Er schüttelte den Kopf. »Warum sollte meine Familie mir das antun?« Er flüsterte kaum hörbar, aber die beiden Frauen verstanden ihn gut.
    Tangyre besaß zumindest Loyalität genug, um schuldbewusst zu wirken. »Es geht nicht um Euch, mein Prinz, sondern um das, was Ihr zu tun versäumt habt.«
    Ein dumpfer Zorn stieg in Raed auf. Er funkelte sie an. »Und das wäre?«
    »Eure Familie zu beschützen.« Sie biss die Zähne zusammen. »Ihr hattet kein Problem damit, Euren Vater und Eure Schwester auf dieser stinkenden Insel verrotten zu lassen.«
    »Ich hatte keine Wahl.« Er wandte sich an Fraine und schob den Schatten ihrer Mutter beiseite, der zwischen ihnen stand. »Das musst du doch wissen.«
    Ihre Mundwinkel zuckten. Als sie antwortete, zeugten ihre Worte endlich von Gefühl – nur schade, dass es echter Zorn war. »Ich bin noch jung, Raed, und diese Insel ist voller alter und gebrochener Menschen. Du hast mich einfach dagelassen.«
    In diesem Moment begriff der Prätendent, warum seine Schwester sich gegen ihre Familie gewandt hatte. Er wusste es, weil er die Verantwortung dafür trug. Er wusste es, weil er sich entschieden hatte, die
Herrschaft
zu verlassen und das Risiko einzugehen, ein Wiedersehen mit seiner Familie zu feiern, die damals in der Nähe gewesen war. Sie hatten nur selten das Festland besucht, doch ein loyaler Fürst, der auf einer abgelegenen Halbinsel lebte, hatte sie eingeladen, die Ernte mit ihm zu feiern. Es bestand kaum Gefahr – zumindest nicht von ihren Feinden.
    Damals war der Rossin-Fluch nur eine kuriose Legende gewesen, etwas, worüber man beim Essen mit der Familie kicherte. Es war reiner Zufall, dass er seine Jugend seit dem zehnten Lebensjahr an Bord eines Schiffs verbracht hatte, wo er zu führen und zu kämpfen gelernt hatte und wo er von offenem Wasser

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