Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
ausruhen, Sorcha.« Er sprach abgehackt, heiser und distanziert. »Wir können später darüber reden.«
Er klang wie ein anderer Mensch – nicht wie ihr Partner, wie ihr Freund. Bestürzt sah Sorcha, wie er sich auf dem Absatz umdrehte und sie ohne jede Erklärung stehen ließ. Die Falte zwischen ihren Brauen war tief, doch der, dem ihr Stirnrunzeln galt, war verschwunden.
Merrick und sein Geheimnis würden warten müssen; denn nun musste sie Raed aufspüren – und zwar schnell, bevor die Vision des Gespensts wahr wurde.
Kapitel 13
Heimkehr
Merrick war froh, dass Männer und Frauen nach chiomesischer Sitte getrennt untergebracht waren. Er wollte Sorcha nicht sehen, wollte die Schutzschilde nicht vor ihr hochhalten, und ihre Fragen wollte er ganz bestimmt nicht hören. Er musste sich seine eigenen Gedanken machen.
Sie hatte ihn erkannt. Das hatte er in dem Anflug eines Stirnrunzelns gesehen; eine winzige Bewegung, die niemand sonst bemerkt haben konnte. Er jedoch war damit aufgewachsen, ihr schönes Gesicht zu betrachten.
Merrick saß auf dem Bett, die Hände auf der Kante zu Fäusten geballt. So einfach war das also, ihn direkt wieder in die Wirren seiner Kindheit zurückzuwerfen. Als habe seine Ausbildung zum Diakon nie stattgefunden. Er war wieder ein Junge.
Die Tür öffnete sich knarrend, weil er sie nicht verschlossen hatte. Er drehte sich nicht um, hörte aber, wie sie in den Raum schlüpfte.
Der Diakon nahm einen langen Atemzug, dann wandte er sich zu ihr um. Er stellte fest, dass das Alter die Schönheit seiner Mutter nicht gemindert hatte; für ein paar zarte Falten um ihre braunen Augen hatte es gesorgt, ihr dickes, dunkles Haar jedoch nicht verändert. Er senkte den Blick auf ihren geschwollenen Bauch, und ihre Hände wanderten dorthin, als beschützte sie ihn.
»Ales.« Sie flüsterte den Namen, den er aufgegeben hatte.
»Nein, Mutter« – er zog den Umhang fester um sich, sodass das Abzeichen des Auges und der Faust im Kerzenlicht schimmerte – »ich habe diesen Namen abgelegt, als ich in den Orden eingetreten bin.«
Japhne del Torne, einst Baronin und immer noch seine Mutter, zuckte zusammen und wandte den Blick ab. »Wir haben den Wald nach dir abgesucht, dann die Stadt, aber wir konnten dich einfach nicht finden …«
»Merrick.« Er sagte seinen angenommenen Namen. Die Härte in seiner Stimme entzog sich jeder Kontrolle.
»Merrick.« Dann tat sie, was jede Mutter als Trumpfkarte besaß – sie weinte.
Er war wieder zehn, stand in ihrem Gemach und hielt die zerbrochenen Überreste einer zierlichen Schale, die ihre eigene, inzwischen verstorbene Mutter ihr geschenkt hatte. Als sie in Tränen ausgebrochen war, war er sich wie ein schrecklicher Mensch vorgekommen. Damals wie jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als zu ihr zu laufen und sich in Entschuldigungen zu ergehen.
Es war anders: Ihr Bauch machte jede Umarmung unbeholfen, und jetzt ragte Merrick über ihr auf. Sie roch immer noch wie früher: nach Rosen und Wärme. Der Duft traf ihn auf eine elementare Weise, und auch Merrick weinte. Die Erinnerungen an sein Fortgehen, an die brennende Rachsucht in seinem Herzen, die ihn von zu Hause vertrieben hatte, waren so frisch wie am ersten Tag.
»Mutter« – er hielt sie auf Armeslänge von sich – »was machst du hier? Was ist mit del Torne? Sag mir, was passiert ist!«
»Dort herrscht dein Halbbruder«, antwortete sie tonlos. »Berne ist volljährig geworden, und plötzlich war seine Stiefmutter überflüssig wie ein Kropf.«
Als ihre Schultern herabsanken, führte er sie zum Bett, damit sie sich setzen konnte. Merrick ließ sich auf die Knie nieder und schaute zu ihr auf. Sein älterer Halbbruder war zur Ausbildung in die nahe Abtei geschickt worden, als Ales noch ein kleines Kind gewesen war. Er erinnerte sich, dass Berne ihrem Vater sehr ähnlich gesehen hatte, und er hatte immer angenommen, der Erbe des Gutes habe eine ähnliche Persönlichkeit. Schuldgefühle wallten in Merrick auf; geblendet vom eigenen Schmerz und Leid, hatte er nie an seine Mutter gedacht.
»Erzähl mir, was passiert ist.« Er drückte ihr die Finger.
Japhne wischte sich die Tränen weg. »Ich habe darum gebeten, ins Torhaus ziehen zu dürfen – ich hätte dort gerne meine Tage beschlossen –, aber er wollte nichts davon wissen. Ich war gezwungen, ins Haus meines Bruders zurückzukehren.«
Merrick wusste, dass sein Onkel Edrien ein bissiges Klappergestell und der Hauptgrund war, warum Japhne so
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