Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
jung geheiratet hatte. Die Rückkehr in seine Obhut musste sehr ärgerlich für sie gewesen sein. Da Nanth war in vieler Hinsicht ein Anachronismus – ganz wie sein Nachbar Chioma. Frauen hatten dort weder Besitz noch Titel und waren vollkommen von ihren männlichen Verwandten abhängig.
»Zu der Zeit erhielt ich Onikas Antrag«, flüsterte sie. Ihre Wangen liefen rot an, und sie legte sich die Hand auf den reifen Bauch. »Ich weiß nicht, wie er von mir gehört hat.«
Die Blume von Da Nanth – so hatte man sie genannt. Mit gerade sechzehn Jahren verheiratet, verdiente sie diesen Titel selbst mit Ende dreißig noch.
So wenig es Merrick gefiel, dass sie wieder geheiratet hatte, sagte ihm seine Vernunft doch, dass sie nur wenig andere Möglichkeiten gehabt hatte. Japhne war unter dem stets wachsamen Auge ihres Bruders in eine unerträgliche Situation geraten – ohne Stellung und ohne Aussicht, sich selbst zu ernähren. Also unterdrückte Merrick seine erste Reaktion, bevor er sie aussprechen konnte.
Sein zweiter Gedanke galt der Frage, ob der Prinz außerhalb des Thronsaals seine Kristallmaske abnahm – aber dann waren die Bilder von dem Ort, wo er dies tun mochte, für jeden Sohn viel zu verstörend, um darüber nachzudenken. Ihr geschwollener Leib ragte groß vor seinem inneren Auge auf.
Stattdessen stieß Merrick mit erstickter Stimme hervor: »Wie … wie ist er so? Behandelt er dich gut?«
Ihr Lächeln war sanft. »Er ist sehr freundlich. Ich verstehe jedoch nicht, warum er sich die Mühe mit mir gemacht hat – und ich werde sicher bald keine Kinder mehr bekommen können. Daher war dies eine Überraschung.« Sie rieb sich behutsam den Bauch, eine Geste, die deutlicher als alle Worte Zufriedenheit und Glück vermittelte. »Als ich deinen Vater geheiratet und dich bekommen habe, war ich noch ein schmächtiges kleines Mädchen. Dies fühlt sich ganz anders an – nicht schlecht, aber anders.« Sie setzte sich wieder aufs Bett. »Jetzt möchte ich von deinem Leben hören. Ich hätte nie gedacht, dass du dich für den Orden entscheiden würdest.«
»Es tut mir leid.« Merrick umfasste ihre Hand. Er hatte es jahrelang vermieden, den tiefen Brunnen der Trauer und Schuld zu öffnen, doch unter dem Blick ihrer sanften braunen Augen hatte er keine Chance.
Japhne strich ihm mit abwesendem Blick leicht übers Haar. Merrick wusste, dass er seinem Vater sehr ähnlich sah.
»Kein Grund für Kummer – erzähl es mir einfach«, flüsterte sie. »Erzähl mir, was mit meinem Jungen passiert ist.«
Merrick zuckte die Achseln und spürte das Gewicht von Umhang und Abzeichen. »Ich wollte Rache für Vater. Ich wollte anderen helfen. Ich wollte besser sein als die Diakone, die kamen, um ihn zu retten.« Er lächelte schwach. »Aber das Schicksal hat eine merkwürdige Art, die Dinge zu wenden. Meine Partnerin ist jetzt Diakonin Sorcha Faris.«
»Ich dachte mir doch, dass ich sie erkannt habe.« Seine Mutter stieß einen langen Atemzug aus. »Man kann ihr Gesicht nur schwer vergessen.«
»Sie hat eine gewisse« – Merrick brach ab und sah dann mit einem kleinen Lächeln auf – »Art, Dinge zu tun.«
»Verliebe dich bloß nicht in sie!« Japhne schnippte ihm gegen die Nasenspitze.
»Niemals!«
Sie schmiegte ihm die Hand ums Kinn. »Was ich wirklich wissen möchte, mein liebster Sohn, bist du glücklich?«
Das hatte ihn noch nie jemand gefragt – nicht in seiner Zeit im Orden –, und die unbedachte Antwort ging ihm leicht über die Lippen. »Absolut – ich habe mir dieses Leben immer gewünscht.«
»Aber du hast deinen Namen aufgegeben …«
»Wenn sie gewusst hätten, wer ich bin, Mutter, wer mein Vater war und dass er besessen war, hätten sie mich nicht genommen.« Schuldgefühle, wie er sie zum ersten Mal verspürt hatte, als er der Jugendpresbyterin seinen neuen Namen genannt hatte, wallten in ihm auf.
Sie biss sich auf die Lippe und nickte. »Es scheint also, als säßen wir beide in einer ähnlichen Falle. Am Hof von Chioma gibt es noch mehr Verschwörungen als in Da Nanth. Wenn eine der anderen Ehefrauen herausfände, dass du mein Sohn bist, würde sie es zu ihrem Vorteil nutzen.«
Ihre Stimme verlor sich. Für einen Moment saßen Mutter und Sohn in dem Bewusstsein da, wie vollkommen sie in ihrer Vergangenheit gefangen waren. Schließlich stemmte Japhne sich vom Bett hoch. »Ich muss zurück in die Frauenquartiere – ich kann es mir nicht leisten, vermisst zu werden.« Ihre Hand beschrieb einen Kreis
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