Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
unterstrich ihre Worte.
Sie klang unbefangen, als wüsste sie nicht, was es bedeutete, ihr Schwert jemandem zu leihen, der nicht zum Orden gehörte. Dass sie Kontrolle aufgab und ihren Ruf in seine Hände legte, diese vertrauensvolle Geste ließ Raed wie angewurzelt stehen bleiben.
Er würde ihr Vertrauen jedoch nicht hinterfragen – das hätte es irgendwie besudelt. Stattdessen schnallte Raed die Scheide an seinen Gürtel, nahm eine flackernde Fackel von der Wand und ging voran nach unten.
Die Bienenkorbstadt war dank dicker Erdmauern von Natur aus kühl, aber als sie immer tiefer kamen, wurde es richtig kalt. Die dünne Kleidung, die sie alle trugen, war unzureichend – aber an diesem Punkt drehte niemand um.
»Ich spüre fließendes Wasser.« Merrick zeigte mit leicht abwesendem Blick nach unten. »Es stört meine Sicht ein bisschen.«
»Wasser – hier unten? Ich höre es nicht.« Sorcha stand zwischen den beiden Männern und senkte unwillkürlich die Stimme zu einem Flüstern.
»Die Bienenkorbstadt überlebt nur, weil sie auf einem großen Netzwerk unterirdischer Kanäle steht.« Raed war zwar nicht gerade nach einer Geschichtslektion zumute, doch er war froh, etwas beisteuern zu können. Die bedrückende Atmosphäre hatte nicht mit der Wasserversorgung zu tun, sondern mit dem aufgewühlten Gefühl in seiner Brust – ein sicheres Zeichen dafür, dass der Rossin sich zu manifestieren drohte.
Doch Merrick hatte gesagt, es seien keine Geister in der Nähe. Raed wiederholte sich das immer aufs Neue und versuchte, nicht daran zu denken, dass Merrick auch nicht in der Lage war, jemanden zu spüren, dessen deutlicher Spur sie folgten.
Und dann war da ein Geräusch. Alle drei erstarrten auf der Treppe. Es war ein lang gezogener, metallischer Laut – und nicht weit vor ihnen.
Vorsichtig führte Raed die beiden Diakone weiter, die Hand fest um den Knauf von Sorchas Schwert geschlossen. Sie waren jetzt so tief, dass sogar eine schwache Feuchtigkeit in der Luft hing, und der lange, niedrige Gang, in dem sie sich befanden, ähnelte mehr und mehr einem Tunnel.
»Immer noch nichts!« Merrick klang jetzt wirklich verärgert.
Sorcha, die sich neben Raed hielt, drehte sich zu ihm um. »
Irgendwas
ist hier unten – ich denke, Ihr versucht es besser mit dem Riemen.«
Ihr Partner hatte gerade nach seinem Talisman gegriffen, als der Tunnel zu beben begann. Die plötzliche, heftige Bewegung warf Sorcha gegen Raed, der das Gleichgewicht verlor. Das Geräusch klang jetzt wie das wütende Brüllen eines gestörten Tiers. Kleine Steine lockerten sich und prallten von ihnen ab, und der Junge Prätendent schlang die Arme um Sorcha, um ihren Kopf zu schützen.
Merrick hatte es durch Glück oder Gnade geschafft, aufrecht stehen zu bleiben – zumindest, bis plötzlich der Boden unter ihm nachgab. Raed sah noch deutlich seine großen Augen und den erschrockenen Gesichtsausdruck, bevor er verschwand.
»Merrick!«, schrie Sorcha und kroch auf allen vieren zu der klaffenden Öffnung, obwohl der Rand alles andere als stabil aussah. Das Beben der Erde verebbte so schnell, wie es gekommen war, und jetzt waren ihre Rufe noch verzweifelter.
»Ihm wird schon nichts passieren.« Raed legte ihr den Arm um die Schulter und spähte in die Leere hinab. »Es ist einer der Kanäle, von denen ich dir erzählt habe.« Als er die Fackel hineinstieß, rechnete er fest damit, Merrick zu ihnen hochschauen zu sehen, vielleicht mit ein paar Prellungen, vielleicht ein wenig verlegen. Es ging nicht tief hinab, und das fließende Wasser unten konnte kaum knöcheltief gewesen sein. Doch als Raeds Augen sich an die größere Dunkelheit gewöhnt hatten, war da keine Spur von dem jungen Diakon. Raed ließ sich vom abgebrochenen Rand des Tunnelbodens hinab und blickte in beide Richtungen des Kanals, aber da war nichts. Merrick wäre nicht davongelaufen. Und er konnte nicht fortgerissen worden sein, weil das Wasser nicht tief war und nicht schnell floss.
»Wo ist er?«, sagte Raed halb zu sich, halb zu Sorcha, zog sich wieder ein Stück hoch und sah sie an.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte sie, die Hände nutzlos auf dem Schoß verkrampft. »Ich kann ihn nicht spüren.«
An den einsamen, gebrochenen Ton ihrer Stimme war Raed nicht gewöhnt. Es klang stark nach Trauer.
»Bleib hier«, sagte er und ließ sich mühelos in den Kanal ab. Bruchstücke der Tunneldecke lagen im kalten, fließenden Wasser verstreut – aber vom Diakon war keine Spur zu
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