Die russische Gräfin
jetzt verrieten ihm ihre Anspannung und Besorgnis, daß ihr an ihm lag. Fast kam es ihm so vor, als könne sie an nichts anders mehr denken.
Nun, vielleicht waren ihre Sorgen auch berechtigt. Gegen alle Gewohnheit hatte sich Rathbone blind auf Zorah Rostovas Fall gestürzt. Er hätte zumindest vorab Nachforschungen anstellen müssen. Nach Lage der Dinge war die Verteidigung extrem schwer zu führen. Und je mehr Monk in Erfahrung brachte, desto pessimistischer wurde er. Im besten Fall konnten sie noch auf Schadensbegrenzung hoffen.
Außerdem hatte Monk ein schlechtes Gewissen, weil er in einem Komfort reiste, den er sich bei seinem Einkommen nie hätte leisten können. Auf Zorahs Kosten fuhr er in ein Land, das er, soweit er wußte, nie gesehen hatte und in dem er eine seiner Überzeugung nach hoffnungslose Mission antrat. Als Mann von Ehre hätte er ihr sagen sollen, daß er nicht wußte, wonach er überhaupt suchte, und abgesehen davon die Erfolgsaussichten als minimal einschätzte. Ihr wäre am ehesten geholfen gewesen, hätte man ihr geraten, sich eiligst zu entschuldigen und alle Untersuchungen zurückzunehmen. Aber das hatte Rathbone ihr bestimmt schon gesagt.
Das rhythmische Rattern der Räder und das beruhigende Schwanken des Waggons konnten einen fast hypnotisieren. Und der Sitz war wirklich sehr bequem.
Und wenn Rathbone ihr seine Dienste aufkündigte? Dann müßte sie sich einen anderen Advokaten suchen, was ein extrem schweres Unterfangen wäre und sie vielleicht doch noch abschrecken würde. Aber für so etwas war Rathbone zu stur! Er hatte ihr sein Wort gegeben, und sein Stolz verbot es ihm, sich auch einmal einen Fehler einzugestehen, und sei der Fall noch so hoffnungslos! Der Mann war ein Narr.
Aber er war auch – in gewisser Hinsicht – Monks Freund und darüber hinaus sein Arbeitgeber. Insofern hatte er keine andere Wahl, als diese herrliche Zugreise nach Venedig fortzusetzen, sich vor den im Exil lebenden Teilen des Königshauses als Gentleman auszugeben und eifrig zu recherchieren.
Der Zug fuhr im verblassenden Licht des Spätnachmittags über die neue Brücke in Venedig ein. Stephan holte Monk am Bahnhof ab. Es wimmelte von Leuten unterschiedlichster Nationalitäten. Vor allem Perser, Ägypter, Levantiner und Juden betrieben hier ihre Geschäfte. Rings um Monk toste ein Gewirr von noch nie gehörten Sprachen, und Gewänder aller Arten, Farben und Schnitte rauschten an ihm vorbei. Die Gerüche exotischer Gewürze und ätherischer Öle mischten sich mit Dunst, Kohlenstaub, salzhaltiger Luft und Abfällen. Monk fiel jäh ein, wie östlich Venedig schon lag. Hier liefen die europäischen Handelswege mit den Seidenstraßen und Gewürzrouten des Orients zusammen. Im Westen lag Europa, im Süden Ägypten und der afrikanische Kontinent, im Osten Konstantinopel und die alte Welt und dahinter wiederum Indien und China.
Stephan hieß Monk aufs herzlichste willkommen. Ein Dienstmann, der sich die ganze Zeit hinter ihm gehalten hatte, schulterte mühelos sein Gepäck und bahnte den zwei Männern einen Weg durch die Menge.
Zwanzig Minuten später saßen sie in einer Gondel und wurden über einen schmalen Kanal gerudert. Über ihnen beleuchtete die Sonne die marmornen Gesichter der Häuser, im Wasser unter ihnen lagen deren dunkle Schatten. Alles, was sich in den sich kräuselnden Wellen widerspiegelte, schien zu beben. Von überall her war leises Plätschern zu hören, und der Geruch von Salz, Abwässern und moderigem Gemäuer stieg penetrant in die Nase.
Monk schaute fasziniert von einer Seite zur anderen. Das war ja so anders als alles, was er sich je erträumt hatte. Vor ihm ragte eine Steintreppe aus dem Wasser und verschwand zwischen zwei Gebäuden. Eine andere führte zu einem Pier, der in einen Torbogen mündete. Das Spiegelbild leuchtender Fackeln tanzte auf der Wasseroberfläche. An langen Stangen vertäute Boote hoben und senkten sich mit den Wellen und stießen sachte aneinander.
Monk war von all dem gefesselt. Er hatte nicht gewußt, was ihn hier erwarten würde. In seinen Gedanken war er zu sehr bei den erhofften Ergebnissen seiner Mission und seiner Strategie gewesen, als daß er sich auf die Stadt selbst hätte vorbereiten können. Gut, er hatte die Legenden über Venedigs Ruhm und Untergang gehört. Er wußte, daß es eine alte und korrupte Republik war, das Tor des Handels nach Westen und Osten, eine Großmacht am Höhepunkt ihres Glanzes, bis die um sich greifende Dekadenz sie in
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