Die russische Herzogin
fragte, musste sie mehrmals vollbepackten Wagen ausweichen, die ins Kaserneninnere fuhren. Viele Ausrüstungsgegenstände waren im Einsatz verloren-, kaputt- oder einfach nur ausgegangen. Die in der Garnisonsstadt ansässigen Händler und Handwerker rieben sich die Hände, als sie die dicken Aufträge über Stiefelsohlenwichse, Ersatzteile für Pferdesättel bis hin zu Reithosen entgegennehmen durften.
Offizier von Basten wäre auf dem Proviantamt beschäftigt, wisse aber um ihren Besuch, erfuhr Wera nach geraumer Wartezeit. Ob die gnädige Frau warten wolle?, fragte der aufgeregte Wachmann, der Damenbesuch an seinem Tor nicht gewohnt war. Wera nickte huldvoll.
Am Abend des Balls hatten sie und Lutz nur im Vorübergehen ein paar Worte gewechselt.
»Du meine Güte, aus dir ist ja eine richtige Dame geworden!«, hatte er ehrlich erstaunt gerufen. Und hinzugefügt, dass er sie fortan siezen werde.
Werahatte nicht gewusst, ob dies sein Ernst war oder seine alte Art, sie auf den Arm zu nehmen.
Es dauerte eine Weile, bis ihr alter Wanderkamerad am Tor erschien. Mit seinem strohblonden Haar und dem freundlichen Blick sah er noch immer wie ein großer Junge aus und nicht wie ein Mann, der zwölf Jahre älter war als sie. Wera vermochte an seiner Miene nicht abzulesen, ob er erfreut war, sie zu sehen.
»In einer Stunde muss ich wieder auf dem Proviantamt sein, aber Zeit für einen kurzen Spaziergang habe ich schon«, sagte er.
»Ein strammer Marsch wie in alten Zeiten wäre mir lieber«, erwiderte sie grinsend. Während der ersten Minuten ihres Spaziergangs musste sie jedoch feststellen, dass sich die alten Zeiten nur schwerlich wiederholen ließen. Lutz von Basten bestand tatsächlich darauf, sie förmlich mit »Sie« anzusprechen. Auch hatte Wera das Gefühl, als legte er jedes Wort auf die Goldwaage, bevor er es aussprach.
»Ich bin es, Wera, deine alte Wanderkameradin!,« wollte sie ihm zurufen, stattdessen fragte sie nach Eugen, woraufhin der Ausdruck in Lutz’ Augen noch wachsamer zu werden schien.
»Herzog Eugen ist ein guter Soldat. Warum fragen Sie?«
»Nur so …« Wera riss am Wegesrand eine Margerite ab und begann die Blütenblätter abzurupfen.
Er liebt mich, er liebt mich nicht …
»Er hat doch nicht –« Abrupt blieb Lutz von Basten stehen. »Ich habe gesehen, wie Sie, Prinz Wily und Herzog Eugen gestern Abend lange zusammenstanden. Haben Sie Grund, sich über des Herzogs Verhalten zu beschweren?« Verflogen war sein wachsamer Blick, vielmehr sah er alarmiert aus. »Sie können mir vertrauen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Eugen, ich meine, dass Herzog Eugen sich der Damenwelt gegenüber nicht korrekt verhält. Es ist purer Übermut, der ihn manchmal über die Stränge schlagen lässt, er jedoch nennt es Charme …«
Er liebt mich, er liebt mich nicht, er –
Esdauerte einen Moment, bis Wera verstand, was Lutz sagen wollte. Sie lachte auf.
»Du befürchtest, Eugen habe sich mir auf unziemliche Art genähert? Lieber Himmel, nein!« Wenn es nur so wäre, dachte sie im Stillen. Frohlockend zupfte sie das letzte Blütenblatt der Margerite ab.
Er liebt mich!
»Was ist, warum schaust du mich so grimmig an? Ich habe mich lediglich höflich nach einem deiner Kameraden erkundigt.«
Lutz von Basten verzog den Mund, als habe er Zahnweh. »Eugen ist nicht mein Kamerad, sondern ein Vorgesetzter. Und selbst wenn unsere Ränge nicht so weit auseinanderlägen – einen wie ihn würde ich nie als meinen Kameraden bezeichnen.«
Wera schaute ihren alten Freund betroffen an. Lutz schien Eugen nicht gerade zugeneigt zu sein …
»Ich finde den Herzog nett«, sagte sie lahm. Dann bemühte sie sich krampfhaft, das Thema zu wechseln. Als das Tor der Kaserne wieder in Sichtweite kam, war sie fast erleichtert.
»Dann bis zum nächsten Mal«, sagte sie leichthin, doch Lutz hielt sie am Handgelenk fest. Um einem Tross Reiter auszuweichen, zog er sie ein Stück zur Seite. Im Schatten einer alten Eiche schaute er sie flehentlich an.
»Wera, pass auf dich auf! Glaub nicht jedes Wort, das dir ein Herr süß ins Ohr säuselt. In deinem Alter ist man noch arglos und vertrauensselig, vor allem eine so gute Seele wie du. Du hast die große Gabe, in den Menschen das Gute zu sehen. Aber diese Gabe birgt auch Gefahren in sich. Ich weiß ja nicht, wie weit die Sache mit Herzog Eugen und dir gediehen ist, welche Absichten du verfolgst oder –«
Wera wollte heftig protestieren, dass sie keinerlei Absichten
Weitere Kostenlose Bücher