Die russische Herzogin
reagierte, ärgerte sie sich sogleich, den Tritt erwähnt zu haben.
»Das würde alles nur noch schlimmer machen. Du hättest sehen müssen, wie sie mich angestarrt hat. So hasserfüllt! Ich weiß wirklich nicht mehr weiter …«
Sofort nach ihrer Rückkehr hatte Olly Wera an Madame Trupow übergeben. Auf dem Weg in ihr Schlafzimmer traf sie Karl. Er trug Ausgehrock und Spazierstock, als wäre er im Aufbruch begriffen. Doch wie seine Pläne auch ausgesehen haben mochten, er hatte Olly unvermittelt in den Arm genommen und ihre Tränen mit seinem Taschentuch getrocknet. Behutsam hatte er sie dann in einen der Salons geführt. Seitdem saßen sie zusammen, Olly mit angewinkelten Beinen, er saß dicht neben ihr. Seine Hand lag beruhigend auf ihrem Arm. Ausführlich hatte Olly erst von dem Vorfall in der Kirche, dann von Weras Ausbruch im Kinderheim erzählt. Und von dem eisigen Schweigen auf der Heimfahrt.
»Dieses Kind hasst mich von ganzem Herzen.« Olly kämpfte erneut mit den Tränen.
»Ach Olly …« Karl klang hilflos. In dem Moment klopfte es an der Tür. Es war Evelyn. Karl schien bei ihrem Anblick regelrecht erleichtert zu sein. Zugleich zückte er erneut seine goldene Taschenuhr.
Von welchen »wichtigen« Terminen halte ich ihn wohl ab?, fragte sich Olly bitter. Geh doch! Geh! Ich sehe dir an, dass du in Gedanken längst woanders bist. Du brauchst nicht aus lauter Mitleid meine Hand halten! , hätte sie am liebsten geschrien.
»Vielleichthätten wir Wera doch reinen Wein einschenken sollen. Wenn sie wüsste, dass ihr in Russland das Irrenhaus blühte, käme ihr der Aufenthalt bei uns wahrscheinlich nicht mehr wie die größte Strafe vor.« Mit einem leisen Schnappen schloss sich seine Sprungdeckeluhr.
»Wera sagen, dass Kosty sie in eine Anstalt abschieben wollte? Nie und nimmer«, erwiderte Olly mit neu entfachter Kraft. »So hartherzig kann ich nicht sein. Am Ende würde Wera ihre Eltern auch noch hassen. Schau sie dir doch an, sie ist schon durcheinander genug!«
»Aber so denkt Wera ständig, dass sie bald abgeholt wird – wie soll sie sich da je eingewöhnen?«, fragte Evelyn. »Die Wahrheit wäre zwar hart, aber Ihre junge Nichte ist ein Mensch, der mit der Wahrheit sicher besser umgehen könnte als mit dieser Geheimniskrämerei«, sagte die Hofdame, während sie Olly einen wärmenden Schal um die Schultern legte. Karl nickte zustimmend.
Ärgerlich schaute Olly von Eve zu ihrem Mann.
»Ein wenig mehr Unterstützung von euch beiden täte mir gut, stattdessen seid ihr nun auch noch gegen mich.«
»Also wirklich, Evelyn will doch nur dein Bestes. Sie sieht, wie müde und erschöpft du bist, seit das Kind da ist. Und sie macht sich Sorgen um dich, genau wie ich«, sagte Karl.
»Sorgen!« Olly wischte das Wort wie eine lästige Fliege beiseite. Auf einmal spürte sie den Drang, Karl so zu verletzen, wie sie von Wera verletzt worden war.
»Du brauchst gar nicht so besorgt zu tun, ich sehe doch genau, wie du ständig auf deine Uhr schaust! Bin ich dir mit meinem Gejammer wieder einmal lästig? Was hast du denn heute vor? Wieder einen deiner sogenannten ›Spaziergänge‹?«, fragte sie in schrillem Ton. »Wem willst du eigentlich etwas vormachen, Karl? Warum sagst du mir nicht einfach, dass du zu einer anderen gehst? Ich wäre nicht die erste Ehefrau, die damit leben muss, dass ihr Mann eine Geliebte hat. Alles wäre besser als deine ewige Heimlichtuerei.«
»Da ist nichts, wie oft soll ich das noch beteuern!«, rief Karl gequält.
Ollyschaute ihn an. Sein teigiges Gesicht. Seine wässrigen Augen, die sie oft so teilnahmslos musterten. Plötzlich war der Wunsch, ihm weh zu tun, übermächtig.
»Weißt du eigentlich, dass dein Vater die alte Schlosskirche renovieren lässt? Und dass er sich darüber mit deinem Herrn Hackländer ausgetauscht hat? Allmählich gewinne ich den Eindruck, dass der König dir gar nichts mehr sagt. Aber ist es denn ein Wunder, wo du für überhaupt nichts Engagement zeigst?«
Karl seufzte laut und tief auf. »Bist du fertig? Dein Engagement reicht doch für zwei, was soll ich mich also groß anstrengen? Und was die Kirchenrenovierung angeht: Darüber weiß ich längst Bescheid, Hackländer hat es sich nicht nehmen lassen, mir brühwarm davon zu berichten.«
Olly blickte auf. »Du hast Hackländer getroffen? Wann und wo? Davon hast du mir gar nichts erzählt.« Ein unwohles Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Noch mehr Geheimnisse?
»Weil es unwichtig ist. Ich
Weitere Kostenlose Bücher