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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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verwundert.
    »Wera ist in ihrem Zimmer und ruht. Wir hatten viel Spaß miteinander, sie kann ein so reizendes, liebes Mädchen sein«, sagte sie und registrierte zufrieden, dass sich Helenes Augenbrauen in einem verwunderten Bogen hoben.
    »Wir waren gerade dabei, Madame Trupow ein wenig in die Feinheiten der Stuttgarter ›Diplomatie‹ einzuweisen«, sagte Madame Paschkow, eine Exilrussin unbestimmten Alters, und zeigte auf einen freien Stuhl neben sich. »Vielleicht möchten Sie uns bei einer Tasse Tee Gesellschaft leisten?«
    »Madame Paschkow meinte, es sei nicht ratsam, im Haus von GeneralPletjew den Namen seines Neffen Grigori zu erwähnen, weil dieser die Familie durch seine Frauengeschichten allzu sehr in Verruf gebracht hat. Was meinen Sie, liebe Baronin, ist dieser Grigori wirklich so gefährlich?«
    Evelyn schmunzelte. Männer – kein Wunder, dass das Tischgespräch so angeregt war!
    *
    Wera fühlte sich so gut wie lange nicht mehr. Kein Kribbeln in den Füßen, kein Surren im Ohr, und ihr Kopf war auch wie von Spinnweben befreit. Die Haut in ihrem Gesicht war noch immer erfrischend kühl, es prickelte angenehm – ach, sie fühlte sich so lebendig! Dagegen war sie sich in den letzten Wochen unter Madame Trupows Regiment wie gefangen vorgekommen.
    Umso herrlicher waren die Stunden im Freien gewesen. Evelyn ist wirklich nett, dachte Wera. Sie hatte schon fast vergessen, wie viel Spaß es machte, im Schnee herumzutoben. Dabei waren ihr Bruder Nikolai und sie zu Hause in St. Petersburg auch im Winter oftmals so lange draußen gewesen, bis ihre Lippen blau und ihre Zehen fast erfroren waren. Sie hatten Schneehäuser gebaut und waren in einem der Parks auf Rentieren geritten, mit denen die Samojeden wie jedes Jahr vom Polarkreis angereist waren. Sie hatten sich Schneeballschlachten geliefert und Abreibungen mit Schnee verpasst. Aber Schlittschuhfahren war ihr liebster Zeitvertreib gewesen.
    Bedauernd schaute Wera ihre Schlittschuhe an. Das Eis sei zu dünn – bestimmt hatte Evelyn das nur behauptet, weil sie ihre eigenen Schlittschuhe vergessen und keine Lust hatte, ihr, Wera, beim Rundendrehen zuzusehen. Das war wieder einmal typisch! Immer wollten die Erwachsenen bestimmen, was gemacht wurde. In dieser Hinsicht waren alle gleich, Evelyn, Olly und die Trupow.
    »Die wissen einfach nicht, was Spaß macht«, sagte Wera, und Eugen nickte wissend. Im nächsten Moment durchfuhr sie ein Geistesblitz: Was hinderte sie eigentlich daran, noch mal allein in den Park zu gehen und wenigstens ein paar Runden auf den Kufen zu drehen? Von den Erwachsenen würde niemand sie vermissen, daalle glaubten, sie würde in ihrem Zimmer ruhen. Ruhen – von wegen, sie war so unternehmungslustig wie lange nicht! Schon wickelte sie sich ihren Schal um den Hals, dann schlüpfte sie in ihre Jacke. Wochenlang hatte sie nach der Pfeife von Madame Trupow getanzt, nun konnte sie wenigstens ein einziges Mal selbst bestimmen, was sie tat. Das war wirklich mehr als gerecht.
    Großzügig lud sie Eugen zum Mitkommen ein. »Aber wehe, du verrätst mich.«
    Aus einem der Salons drang weibliches Gelächter, als Wera und Eugen daran vorbeischlichen. Der Rest des Palais war an diesem Nachmittag wie ausgestorben.
    Draußen wurde Wera von einem leichten Regen überrascht, der ihre Haare, die sich längst aus den Zöpfen gelöst hatten, binnen weniger Minuten kräuselte. Tapfer blinzelte sie gegen die Tropfen an – sie würde sich gewiss nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen. Dank ihres guten Orientierungssinns fand sie den Park nach gut zwanzig Minuten wieder. Am See angekommen, zog sie mühevoll die Schlittschuhe an. Seitdem sie sie das letzte Mal getragen hatte, mussten ihre Füße ein gutes Stück gewachsen sein, denn die Zehen drückten schmerzhaft gegen das harte Leder. Und wenn schon! Gleich würde sie übers Eis fliegen.
    »Später hole ich dich, und wir drehen gemeinsam ein paar Runden«, vertröstete Wera Eugen von Montenegro und lehnte ihn gegen einen Baumstamm. Dann setzte sie einen Fuß aufs Eis. Ein leises Knacken ertönte. Wera hörte es nicht. Um Balance bemüht, machte sie die ersten Schritte. Das Eis knackte erneut, diesmal lauter. Wera schmetterte ein russisches Volkslied, das Nikolai und sie immer gesungen hatten.
    *
    »Wenn Sie mögen, sorge ich dafür, dass Sie alsbald dem Minister Noroff vorgestellt werden«, sagte Evelyn in vertraulichem Plauderton.
    »Das könnte ich übernehmen, ich bin mit seiner Schwester gut

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