Die russische Herzogin
bekannt«, beeilte sich Madame Paschkow zu sagen.
HeleneTrupow winkte lachend ab.
»Nach allem, was Sie mir über die russischen Herrschaften in Stuttgart erzählt haben, sollte ich mich wohl eher unter den Württembergern umsehen. Doch nun schaue ich erst einmal nach meinem Zögling.«
»Warten Sie, ich komme mit!« Lächelnd erhob sich auch Evelyn. Es ging doch nichts über einen guten Schwatz unter Damen.
»Wo kann sie nur sein?« Ratlos schaute sich die Gouvernante in Weras Zimmer um.
»Von den Zimmermädchen hat sie auch niemand gesehen«, sagte Evelyn, die jeden Raum nach Wera durchsucht hatte. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus, sie hatte Mühe, ihre Stimme zu kontrollieren. Nervös sagte sie: »Vielleicht ist sie bei Frau Öchsele?«
Die Trupow verneinte grimmig. »Bei ihr war ich schon, die Kammerfrau schläft tief und fest.«
Evelyn schluckte. Warum nur hatte sie das Kind sich selbst überlassen? Wo konnte Wera sein? Ihr Blick fiel auf den Boden rechts neben der Tür. Hatte Wera bei ihrer Heimkehr dort nicht mit Gepolter ihre Schlittschuhe hingeworfen? Sie, Evelyn, hatte sie noch gerügt, weil der empfindliche Parkettboden durch die Kufen Schaden nehmen konnte.
Madame Trupow murmelte etwas auf Russisch, was sich wie ein Fluch anhörte, dann fügte sie in Deutsch hinzu: »Neuen Ärger wegen Wera kann ich wirklich nicht gebrauchen.«
»Wenn das Ihre vorrangige Sorge ist …« Evelyn warf der Gouvernante einen unfreundlichen Blick zu, während das Rumoren in ihrem Bauch unerträglich wurde. »Ich glaube, ich weiß, wo sie ist. Kommen Sie, schnell!« Ohne sich noch einmal umzudrehen, rannte sie los.
Schon von weitem sah sie Weras Schopf mit den wirren Haaren. Laut singend und mit ausgebreiteten Armen drehte sie Pirouetten auf dem Eis, das überall Risse aufwies und bei jedem Aufsetzen der Kufen knackte.
»Wera!«Mehr brachte Evelyn nicht heraus, die Angst schnürte ihr die Kehle zu.
»Evelyn!« Freudestrahlend fuhr Wera in einem eleganten Bogen auf sie zu. »Konntest du auch nicht widerstehen? Hast du auch Schlittschuhe dabei –«
Das Eis klirrte. Begleitet von einem saugenden Geräusch brach Wera vor Evelyns Augen ein.
8. KAPITEL
U nd? Hat sie etwa wieder nichts gegessen?«, fragte Helene Trupow leise und sah mit müden Augen auf das Tablett, das neben Weras Bett stand. Ein kleines Schälchen mit Suppe, ein Teller mit frischem Obst, ein Stück Kuchen – alles unberührt. Der Geruch des Essens mischte sich unangenehm mit dem Geruch nach Krankheit, Angst und Kampferöl. Doch weder Olly noch die Gouvernante bemerkten es.
Dankbar nahm Olly die Tasse Tee entgegen, die Helene Trupow mitgebracht hatte. Der Tee schmeckte stark und süß.
»Warum schlafen Sie nicht mehr?«, fragte sie müde.
»Ich kann nicht«, sagte die Gouvernante schlicht, zog einen Stuhl heran und setzte sich zu Olly an Weras Bett.
Es war drei Uhr morgens. Zwei Stunden zuvor hatte Olly die Gouvernante zu Bett geschickt. Den Rest der Nacht wollte sie an Weras Bett wachen, ihr ein paar Schlucke Tee einflößen, kühle Lappen auf ihre Stirn legen, um das hohe Fieber zu senken, ihr Nachtkleid wechseln und die Kissen aufschütteln. So wie jede Nacht.
»Mit welchen Dämonen das Kind wohl kämpft?«, murmelte Helene Trupow, als sich Wera wie so oft unruhig hin und her warf. Ihre Hände krampften sich zu kleinen Fäusten zusammen, ihre Beine zuckten, und sie gab jammernde Laute von sich.
Olly, deren Herz jedes Mal brach, wenn sie Wera im Schlaf so leiden sah, zuckte nur mit den Schultern.
»Dasweiß nur der liebe Gott.« Bevor sie sich dagegen wappnen konnte, stiegen ihr die Tränen in die Augen, und sie schlug die Hände vors Gesicht.
»Alles haben wir falsch gemacht, alles!«, schluchzte sie leise. »Keiner von uns ist Wera gerecht geworden. Sie mit all Ihrer erzieherischen Erfahrung nicht. Und ich mit meiner Liebe erst recht nicht. Wenn das Kind stirbt, ist es allein meine Schuld.«
»Papa … Bist du endlich gekommen!«
Konstantin Nikolajewitsch nahm die Hand seiner Tochter und nickte lächelnd. »Das hatte ich dir doch versprochen, oder?«
»Aber warum hat es so lange gedauert? Ich habe dich und Maman und die anderen so schrecklich vermisst! Gehen wir jetzt?« Wera versuchte sich im Bett aufzurappeln. Sofort traten kleine Schweißperlen der Anstrengung auf ihre blasse Stirn. Ihr Vater drückte sie sanft aufs Kissen zurück.
»Nun werde erst einmal wieder gesund. Dr. Kornbeck, mit dem ich vorhin
Weitere Kostenlose Bücher