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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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gesprochen habe, meinte, du hättest eine schwere Lungenentzündung hinter dir, und wir könnten froh sein, dich überhaupt noch am Leben zu sehen.«
    Ein schwaches Grinsen huschte über das Gesicht des Kindes. »Unkraut vergeht nicht – so sagt man hier in Württemberg. Das trifft auch auf uns beide zu, nicht wahr, Eugen?« Liebevoll schob sie die Puppe tiefer unter die Decke.
    Olly, die die Szene von der Tür aus beobachtet hatte, hätte vor Erleichterung heulen können.
    »Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll für alles, was du für Wera getan hast«, sagte Kosty, als sie neben einem brodelnden Samowar in Ollys Salon zusammensaßen. Zuvor hatten sie Wera beim Essen Gesellschaft geleistet. Beide hatten das Kind, das nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen schien, dafür gelobt, dass es einen ganzen Teller Suppe und eine Schale Apfelbrei zu sich genommen hatte.
    »Mir danken – wofür? Dass ich deine Tochter fast habe ertrinkenlassen?« Olly lachte bitter auf. »Bestimmt hast du es schon hundertmal bereut, sie ausgerechnet in meine Obhut gegeben zu haben …«
    »Wie kommst du bloß darauf?«, erwiderte Kosty heftig. »Du bist doch ihre Patentante, hättest du sie nicht aufgenommen – ich weiß nicht, was aus Wera geworden wäre. Dass sie sich heimlich zum Schlittschuhfahren fortgestohlen hat, hätte überall und bei jedem passieren können. Sie ist halt ein wildes Kind.«
    Olly lächelte. »Von wem sie das wohl hat? Wenn ich daran denke, welche Lausbubenstreiche du einst angestellt hast! Und davongelaufen bist du auch mehr als einmal …« Während sie das Gesicht ihres Bruders betrachtete, in dem das Leben viele Spuren hinterlassen hatte, sah sie wieder den kleinen mageren Jungen vor sich, der – sich für einen General der russischen Flotte haltend – sich im schlimmsten Sturm aufgemacht hatte, ein Boot zu kapern. Fieberhaft hatte die ganze Hofgesellschaft nach ihm gesucht, Olly und der Sohn eines Bootsmannes hatten ihn schließlich gefunden, mehr tot als lebendig, eingeklemmt zwischen schwankenden Schiffsrümpfen. Auch Kosty hatte damals eine schwere Lungenentzündung davongetragen. Genau wie der Sohn des Bootsmannes. Während dem Zarensohn jedoch die beste Pflege und Medizin zur Verfügung gestanden hatte, war das andere Kind gestorben.
    Olly biss sich auf die Lippe. Noch immer fiel es ihr schwer, sich daran zurückzuerinnern. Damals war ihr zum ersten Mal bewusst geworden, wie himmelschreiend ungerecht die Welt sein konnte.
    »Ich hatte einst gute Gründe fürs Davonlaufen – wenn ich nur an meinen Erzieher Lüttke denke! Der Mann war ein Sadist, dessen größte Freude darin bestand, mich mit seinen antiquierten Erziehungsmethoden zu foltern. Ich nehme nicht an, dass Weras Lehrer genauso schrecklich sind.«
    Olly schluckte. Der Gedanke, Madame Trupows strenges Regiment könnte letztendlich für Weras Weglaufen verantwortlich sein, war ebenso naheliegend wie unerträglich. Hatte es außer dem Knien auf Kerzen noch andere Züchtigungsmaßnahmen gegeben, von denen sie nichts wusste? So misstrauisch Olly Helene Trupows Erziehungsmaßnahmennach wie vor gegenüberstand, eines musste sie der Gouvernante lassen: Während Weras Krankheit war sie keinen Tag von ihrem Bett gewichen, sogar nachts hatte sie ihren kranken Zögling bewacht und mindestens so viele Stunden am Krankenbett verbracht wie Olly selbst.
    »Du wirst sie doch behalten?«, fragte ihr Bruder nun. Der angstvolle Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören. Seine Beine wippten nervös auf und ab, seine Finger trommelten neben der unberührten Teetasse auf den Tisch, und seine Augen hatten einen fast gehetzten Ausdruck.
    »Madame Trupow? Was soll ich mit ihr, wenn –«
    »Nicht die Trupow – Wera meine ich!«
    »Aber ich dachte … du bist gekommen, um Wera nach Hause zu holen?« Fahrig ließ Olly ihre Perlenkette durch die Finger gleiten, während sich die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen. Wera sollte bleiben?
    Als es in der Depesche geheißen hatte, Kosty sei auf dem Weg nach Stuttgart, hätte sie vor Freude losheulen können. Endlich der Besuch, auf den Wera so lange gewartet hatte! Mit dem Vater am Krankenbett würde die Genesung umso rascher vonstattengehen. Auch Karl hatte frohlockt, wahrscheinlich aus der Hoffnung, nach der Abreise von Vater und Tochter sein altes ruhiges Leben wiederzuhaben. Dagegen war mit jedem Tag des Wartens bei Olly die Angst gewachsen. Aufgescheucht wie eine Spatzenmutter, wenn sich der

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