Die russische Herzogin
zwei andere Weibsbilder schwängere.«
»Kosty!«
»Nun schau nicht so entsetzt, aufgesetzte Prüderie steht dir nicht. Davon abgesehen habe ich sowieso recht: Es gibt keine weiteren Verdienste, auf die ich stolz sein könnte.« Deprimiert starrte er auf den Samowar. »Aber ich will dich nicht länger mit meiner Verachtung vor mir selbst langweilen. Ich bitte dich nur um eines: Behalte Werahier! Wenn es mir gelingt, unsere Älteste zur griechischen Königin zu machen, hätte ich zum ersten Mal in meinem Leben etwas wirklich Großes erreicht. Wie hast du es gerade genannt? ›Etwas, worauf Russland stolz sein kann.‹ Ich frage mich wirklich, wie sich das anfühlt …«
Das Sehnen in seiner Stimme schmerzte Olly.
»Warum bist du so hart zu dir?«, fragte sie und strich ihm zärtlich über die Wange. »Sascha schreibt mir oft, welch wertvolle Stütze du für ihn bist. Du bist die rechte Hand des Zaren, sein engster Vertrauter – ist das etwa nichts? Dass ihr die Verheiratung eurer ältesten Tochter sehr ernst nehmt, leuchtet mir natürlich ein, aber –«
Kosty hob eine Hand. Seine Augen glänzten kalt, sein Blick duldete keinen Widerspruch, als er sagte:
»Dann leuchtet dir gewiss auch ein, dass ein verrücktes Kind das Letzte ist, was ich derzeit gebrauchen kann.«
Konstantin Nikolajewitsch blieb drei Wochen in Stuttgart. Von Tag zu Tag wurde Wera gesunder und kräftiger. Keinesfalls wollte sie, dass sich wegen ihres Gesundheitszustands die Abreise unnötig verzögerte. Mehr als einmal bat Olly ihren Bruder, Wera den Entschluss, dass er ohne sie abzureisen gedachte, schonend beizubringen. Doch Kosty zögerte diese undankbare Aussprache von Tag zu Tag weiter hinaus. Am Abend vor seiner Abreise führte ihn Olly schließlich eigenhändig bis vor Weras Zimmertür. Bitte, lieber Gott, lass ihn einfühlsame Worte finden , betete sie, während sie mit bangem Herzen im Salon auf ihren Bruder wartete.
»Es ist alles geklärt, Wera versteht meine Beweggründe«, sagte er, als er sich nach einer halben Stunde zu ihr gesellte. Zufrieden mit sich und seinem Werk machte er sich mit Karl auf den Weg, um ein letztes Mal in den Salons von Stuttgart zu feiern. Olly war alles andere als in Feierlaune und blieb zu Hause.
An diesem Abend zerstörte Wera fast ihr ganzes Zimmer, indem sie mit dem Schemel, auf den sie sich sonst zum Schuheanziehen setzte, auf alles eindrosch. Als Olly, von den aufgeregten Zimmermädchenalarmiert, hereingestürmt kam, fand sie inmitten von zerschlagenem Spielzeug und umgestürzten Möbeln ein verschwitztes, fiebriges und in Tränen aufgelöstes Kind vor.
»Warum?«, fragte Wera schluchzend. Mit ihrer Aggression schienen sich auch sämtliche Gefühle der Trauer und Verzweiflung entladen zu haben.
Olly ignorierte das Chaos um sie herum und setzte sich zu ihrer Nichte auf den Boden.
»Warum sind die Menschen, wie sie sind? Warum kann man den Lauf der Dinge nicht aufhalten oder ihm eine andere Richtung geben?« Seufzend nahm sie Weras Hand. »Es gibt wohl keine quälendere Frage als die nach dem Warum . In all den Jahren habe ich gelernt, dass es oft besser ist, nicht nach Gründen zu fragen, sondern zu versuchen, die Dinge zu akzeptieren.« Obwohl sie mit bemüht leichter Stimme sprach, spürte sie, wie sich ihr Innerstes bei diesen Worten sträubte. »Die Dinge akzeptieren« – manchmal hatte sie das Gefühl, an dieser Haltung zu ersticken! Wer war sie, Wera solche Ratschläge zu geben?
Wera zog geräuschvoll die Nase hoch. »Akzeptieren, hinnehmen – und wenn man das nicht kann? Und auch nicht will?«
Schweigend stand Olly auf und ging in ihr Zimmer zwei Türen weiter. Mit der Bibel in der Hand kam sie gleich darauf zurück.
»Als ich ein junges Mädchen war, gab es Momente, in denen ich mindestens so verzweifelt war wie du jetzt. Meine erste Gouvernante Charlotte gab mir den Rat, in einer solchen Situation blind in der Bibel zu blättern. Sie gestaltete das Ganze wie eine Art Spiel und sagte: ›Gott weiß am besten, welche Zeilen für dich hilfreich sind!‹ Gemeinsam versuchten wir dann die jeweilige Stelle zu deuten. Manchmal sagten mir Gottes Worte gar nichts, aber sehr oft fand ich wahren Trost in ihnen.« Die Bibel wog schwer in ihrer Hand. Sie blätterte, bis sie den Römerbrief gefunden hatte, dann begann sie mit fester Stimme vorzutragen:
»Ist der Geist Gottes in euch, so wird Gott, der Jesus von den Toten auferweckte, auch euren sterblichen Leib durch seinen Geist wieder
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