Die russische Herzogin
»Landesverwesung« übernehmen, und dies war Karl. Aber war der König überhaupt regierungsunfähig? Oder würde er sich nichtauch dieses Mal wieder erholen? Krampfhaft wurde um eine Lösung gerungen, mit der alle Beteiligten leben konnten.
Armer Karl, dachte Olly betrübt. Wie viel schöner wäre es, wenn er sie begleitet hätte! Oder wenn er endlich auf den Thron gelangen würde, wo er seit langem hingehörte. Dann würden auch endlich die ewigen Affronts gegen ihn aufhören.
Olly nahm sich vor, sein Zimmer mit besonders vielen Blumen zu schmücken.
Seit Evelyn ihre Befürchtungen bezüglich einer Affäre zerstreut hatte, tat sie alles, um ihre Beziehung wieder zu verbessern: Sie unterließ Kritik an Karl ebenso wie ihre ständigen Fragen, wohin er unterwegs war. Sie drängte ihn auch nicht mehr, sich bei seinem Vater besser in Szene zu setzen. Nicht, dass ihre Bemühungen bisher gefruchtet hätten. Vielmehr gab sich Karl ihr gegenüber nach wie vor sehr distanziert. Vielleicht würde es ihnen in der Villa Berg gelingen, die früheren Zeiten der Verliebtheit und Zärtlichkeit wieder aufleben zu lassen?
»Schau, was sich dort unten wie eine träge Schlange durchs Land windet, das ist der Fluss Neckar«, sagte sie zu Wera, die lustlos aus dem Fenster schaute. »Und siehst du den Hügel direkt vor uns? Dort oben liegt unser Zuhause für die kommende warme Jahreszeit. Bei den Städtern hieß der Berg früher die ›Höllische Brühl‹, ob sie ihn heute auch noch so nennen, weiß ich nicht. Für mich ist dieser Hügel himmlisch, ja sogar verzaubert! Ach, ich kann es kaum erwarten, in meinen Feensitz zu kommen.«
»Dein Feensitz?« Wera bedachte ihre Tante mit einem interessierten Blick. So euphorisch hatte sie die Kronprinzessin in all den Wochen noch nicht erlebt. Die Neugier auf das, was das freudige Funkeln in Ollys Augen auslöste, minderte ihre Enttäuschung darüber, dass es sich bei ihrer »Flucht« lediglich um einen Wohnsitzwechsel handelte.
Das Coupé hielt an, und der Fahrer sprang hinaus, um das Tor zum weitläufigen Park der Villa zu öffnen. Narzissen, Traubenhyazinthen und feuerrote Tulpen säumten den Kiesweg, der sich an einem kleinen See vorbei den Berg hinaufschlängelte. Zartes Blütenparfümerfüllte die Luft, es duftete verheißungsvoll nach Frohsinn und einem leichten Herzen.
Kaum hatte die Kutsche das Tor passiert, ging es bergauf. Als sie auf halber Höhe waren, sagte Olly: »Schau, das hier ist das sogenannte ›Belvedere‹, von diesem Platz aus hat man eine besonders gute Aussicht auf den Stuttgarter Talkessel. Wenn du magst, spazieren wir nachher einmal hierher.«
Wera nickte vage. Sie interessierte vielmehr, wo sie zukünftig wohnen sollte.
Und dann endlich war auch die Villa zu sehen: Rings um einen großen Kubus schmiegten sich Wintergärten, kleine Balkone, Aussichtsterrassen und mit Wein bewachsene Pergolen. Noch waren die Weinranken kahl, aber schon bald würde der Saft in ihnen aufsteigen, und ein dichter Blätterwald würde die marmornen Säulen und hölzernen Balustraden umgeben. Jetzt, so früh im Jahr, wo der Blick noch nicht von der Pflanzenfülle der Gartenanlage abgelenkt wurde, wirkte die Villa noch herrschaftlicher und prächtiger als sonst.
Vor ihrer Abfahrt hatte Olga angeordnet, dass die Kutschen mit dem Personal und ihrem Hab und Gut wie jedes Jahr unten am Berg warten sollten, bis sie das Signal zum Heraufkommen gab. Die erste halbe Stunde sollte die Villa ihr und Wera allein gehören. Ohne die Hilfe ihres Kutschers abzuwarten, sprang Olly leichtfüßig aus dem Wagen und wurde sogleich von einer Woge Glücksgefühle überschwemmt. Hier war sie zu Hause. Hier hatte sie das Sagen. In diesem großen Haus sollte nichts als Freundlichkeit, Frohsinn und Frieden regieren. Verführerisch ließ sie den großen Schlüssel zum Eingangsportal der Villa vor Weras Augen baumeln.
»Komm, ich lade dich ein in meinen Feensitz!«
In den letzten Tagen waren schon etliche Dienstmädchen in der Villa gewesen, hatten Staub gewischt und alles durchgelüftet. Als Olly die Tür öffnete, schlug ihr dennoch eine Wolke Schmierseifengeruch entgegen. Sie rümpfte die Nase. Mit Wera an der Hand ging sie in den Festsaal.
In sämtlichen Kronleuchtern steckten frische Kerzen, die Vasen warenmit Frühlingsblumen gefüllt, auf den Fenstersimsen standen in goldverzierten Töpfen Orchideen aller Art. In den Kaminen aus Carrara-Marmor stapelte sich Feuerholz, die Perserteppiche waren
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