Die russische Herzogin
die Kronprinzessin. Ihre Gesundheit ist angegriffen. Eine Kur wäre dringend angeraten. Auf mich hört sie nicht, können Sie ihr nicht dazu raten?« Die letzten Worte kamen fast flehentlich.
»Evelyn ist schlimmer als eine Henne mit ihren Küken«, sagte Olly mit einer wegwerfenden Geste. »Zugegeben, meine Nerven flattern wirklich ein wenig. Auch mangelt es mir an Schlaf. Ein paar Tage auszuspannen käme mir gelegen, aber diesen Luxus muss ich wohl auf längere Zeit verschieben. Beim derzeitigen Gesundheitszustand deines Vaters kann ich nicht verreisen.«
»Ich verstehe deine Sorge, aber meinem Vater wäre nicht geholfen, wenn du vor Erschöpfung zusammenbrichst«, unterbrach Sophie sie.
Eve nickte zustimmend. »Kissingen soll im Frühjahr wunderschön sein. So schön, dass sogar die Zarenmutter in nächster Zeit dorthin reist. Und täusche ich mich oder will Ihre Schwester Mary auch kommen? Olly, stellen Sie sich das vor – Sie könnten all Ihre Lieben treffen.«
»Dieganze Familie um einen herum – nichts ist wohltuender für eine müde Seele! Olly, du musst Evelyns Rat befolgen«, sagte Sophie prompt. »Auch wenn es nur für ein paar Tage ist.«
»Vielleicht habt ihr recht, ich vermisse Maman und die anderen sehr. Auch Kosty und Sanny wollen nach Kissingen kommen. Bei dieser Gelegenheit könnte Wera ihre Eltern wiedersehen … Ihr habt mich überzeugt! Evelyn, bringe Papier und Tinte, dann schreibe ich Maman gleich eine entsprechende Nachricht.«
Evelyn glaubte nicht richtig zu hören.
»Sie wollen Wera mitnehmen? Zur Erholungskur?« Das war doch nun wirklich ein Widerspruch in sich.
»Glaubst du etwa, ich lasse Wera allein?«, erwiderte Olly lachend.
Genau das hatte Evelyn geglaubt. Aber scheinbar fruchteten gute Argumente bei Olga nicht mehr. Es schien an der Zeit, andere Mittel zu wählen. Sie räusperte sich und sagte: »Wenn Sie erlauben, Hoheit, werde ich den Brief an Ihre Maman schreiben, dann können Sie und Königin Sophie sich weiter in Ruhe unterhalten …«
Unsicher schaute Olly von der Hofdame zu ihrer Schwägerin. »Soll ich wirklich?«
»Du fährst zur Kur nach Kissingen und erholst dich endlich einmal richtig!« Sophies Ton erlaubte keine Widerrede.
Ein wenig eifersüchtig beobachtete Evelyn, wie sich die beiden Frauen liebevoll umarmten. So unterschiedlich sie auch waren – Sophie von aufbrausendem, sehr leidenschaftlichem Temperament, Olly beherrscht vom Scheitel bis in die Fußspitzen –, so waren sie sich dennoch innig zugetan.
»Aber nun erzähl, was treibt mein Bruder Tag für Tag? Es würde mich nicht wundern, wenn du auch seinetwegen eine Kur benötigen würdest.«
Evelyn schmunzelte in sich hinein. Wenn jemand Karl in- und auswendig kannte, dann war es seine Halbschwester. Sie gehörte auch zu den wenigen Menschen, die es wagten, Karl ihre Meinung zu sagen, statt ihm nur nach dem Mund zu reden. Nicht, dass Karl ihr diese Offenheit dankte! Ganz im Gegenteil, er stand seiner klugenund mutigen Schwester fast feindselig gegenüber. Dass sich Olly mit Sophie so gut vertrug, war ihm ein Dorn im Auge. Evelyn wunderte es jedenfalls nicht, dass Karl lieber in einem der Salons las, anstatt seine Schwester zu empfangen.
Ollys Miene verdunkelte sich wieder. »Karl ist Karl, du kennst ihn doch.«
Sophie warf Evelyn einen kurzen Blick zu, als wäre sie unschlüssig, wie viel sie in ihrer Gegenwart sagen wollte, dann platzte sie heraus: »Du bist viel zu geduldig mit Karl, ich frage mich, womit er das verdient hat. Ach, warum wird von uns Frauen überhaupt erwartet, dass wir heiraten? Von wegen, die Hochzeit ist der schönste Tag im Leben! Ein großer Teil von mir ist an diesem Tag gestorben, das ist die Wahrheit!« Die letzten Worte spuckte sie wie etwas Verdorbenes aus.
Olly schaute ihre Schwägerin entsetzt an, und auch Evelyn war sprachlos ob der Heftigkeit in Sophies Worten. Die Königin lebte seit fast zehn Jahren von ihrem Mann getrennt, wie konnte sie nach all dieser Zeit noch so viel Hass für ihn empfinden?
»Schaut nicht so entgeistert«, sagte Sophie prompt. »Dass ich mich von diesem Scheusal getrennt habe, war die beste Entscheidung meines Lebens. Und wenn sich der Hof tausendmal das Maul zerreißt! Sollen sie hinter meinem Rücken doch klatschen, so viel sie wollen. Seit ich allein lebe, bin ich wenigstens wieder ein Mensch und nicht nur eine Sklavin. Wer weiß, vielleicht wäre das für dich auch der richtige Weg?«, sagte sie herausfordernd an Olly
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