Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
Mischa aus Kiew?«
»Der Mischa, ja. Der Mischa tot. Sie wissen, Doktor?«
»Ja, der Mischa ist tot, weiß ich. Kannten Sie ihn?«
»Wir zusammen gearbeitet, hier, der Mischa und ich. Und dann er krank. Er hier in Krankenhaus.«
»Und danach, haben Sie ihn danach gesehen?«
»Mischa krank, nix arbeiten. Viel krank zum Schluß. Viel gelb.«
Mehr über Mischas Krankheitsverlauf in den letzten Monaten herauszubekommen scheiterte an den gegenseitigen Sprachschwierigkeiten.
»Hatte er einen Arzt?«
»Einen Arzt?«
»Hatte er einen Doktor?«
»Nein, nein. Mischa nix Doktor. Aufenthaltsgenehmigung nix mehr gut. Aber Sie nix sagen, Doktor!«
»Keine Angst, Jurek, ich bin nicht die Ausländerbehörde. Wissen Sie, wo Mischa gewohnt hat?«
»Uhlandstraße. In Pension. Dort viele von uns.«
Ich hatte für den Abend nichts vor, und Celine war bei ihrem Karatekurs. Vielleicht würde ich mir noch einen Wein in einem der Straßencafés in der Fasanenstraße gönnen. Oder einfach über den abendlichen Kurfürstendamm spazieren, die Beine der jungen Mädchen in den kurzen Röcken bewundern oder den unerschütterlichen Optimismus, mit dem junge und nicht mehr ganz junge Männer diese Mädchen ansprechen. Auf jeden Fall aber würde ich in dieser Pension in der Uhlandstraße vorbeischauen. Vielleicht konnte mir dort jemand etwas über Mischas Krankheitsverlauf nach seinem Verschwinden von meiner Station im letzten Oktober sagen. Ich brauchte nur noch die genaue Adresse. Aber das war kein Problem.
Niemand lungerte im Aufenthaltsraum für die Notarztwagenmannschaft herum, die Jungens waren offensichtlich unterwegs zu einem Einsatz, vielleicht auch nur zur nächsten Currywurstbude. Der Aktenordner, in dem die Einsatzprotokolle vom Notarztwagen abgeheftet werden, ist nach Tagen sortiert. Als Einsatzort für den Einsatz Nr. 1726/00 am 12. Juni war eine Pension Elvira in der Uhlandstraße 141 angegeben. Ich zog mich fertig um und fuhr in die Stadt.
Es schien, als hätte ganz Berlin die Idee gehabt, an diesem Abend auf einen Schluck in die Stadt zu fahren. Ab Hohenzollerndamm ging es nur noch im Schrittempo voran, an Parkplätze gar nicht zu denken. Die Möchtegern-Schickis mit ihren Zweite-Hand-BMWs fanden es besonders schick, in zweiter Reihe zu parken, und Berlins Polizei war offensichtlich zu einem sommerlichen Betriebsausflug an den Wannsee gefahren.
Am Ludwigkirchplatz hatte ich Glück – es war zwar ein illegaler Parkplatz auf dem Bürgersteig, aber bei meinem vierzehn Jahre alten Golf würde ich es kaum merken, wenn ein erboster Passant meinen Lack einer Behandlung mit seinen Wohnungsschlüsseln unterzog.
Das Haus Uhlandstraße 141 hatte den Zweiten Weltkrieg überstanden, nicht aber den Modernisierungseifer der fünfziger Jahre. Man hatte damals den Stuck von der Fassade abgeklopft und die Balkone gleich mit, dann das ganze Haus mit einem grauen Strukturputz beworfen. In der Umgebung war in den letzten Jahren der Stuck wieder angeklebt worden, der Eigentümer von Uhlandstraße 141 hatte offensichtlich andere Ideen über die sinnvolle Reinvestition von Mieteinnahmen. Das Haus machte einen ähnlich deprimierenden Eindruck wie die beiden jungen Männer im Trainingsanzug, die vor dem Eingang herumlungerten.
Die Pension Elvira hatte sich im zweiten und dritten Stock breitgemacht und war ebenso heruntergekommen wie das Gebäude. Fleckige Tapeten, nackte oder fehlende Glühbirnen, abgeblätterte Farbe an den Türen. Im zweiten Stock gab es eine Art Rezeption, eingerahmt von handgeschriebenen Zetteln in kyrillischer Schrift. Wahrscheinlich wurde den werten Gästen mitgeteilt, daß sie höchstens einmal pro Woche baden dürften und auf ihre Wertsachen gefälligst selbst aufpassen sollten. Einer der Zettel war auch auf deutsch: »Die Zimmermiete ist täglich im voraus zu zahlen.« Der Besitzer der Pension Elvira hatte offensichtlich erkannt, daß eine Klientel von illegalen Arbeitern anspruchslos und finanziell ergiebig ist.
Auch der Mann hinter der Rezeption trug einen Trainingsanzug und blätterte in einer russischen Illustrierten. Ich hatte mir auf der Hinfahrt überlegt, ob ich vielleicht als Amtsarzt auftreten, ihm meinen Arztausweis unter die Nase halten und was über Seuchengefahr und drohende Schließung der Pension murmeln sollte. Das schien mir jetzt albern, ich wählte den halbdirekten Weg.
»Guten Tag. Ich suche nach Mischa Tschenkow. Er ist ein Freund von mir.«
Der Mann hinter der Rezeption schaute mich nicht
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